Die Fährte
und Lippen waren wie zu einem milden Lächeln verzogen, weshalb unmöglich zu erkennen war, ob er wirklich lächelte oder nicht. Harry tippte auf das Letztere.
»Sie haben also einen Freund, der irgendwo in Ägypten ist und eine Telefonnummer herauszubekommen versucht«, sagte Raskol, ohne dass Harry heraushören konnte, ob der Tonfall nun spöttisch oder bloß konstatierend war.
»El-Tor«, sagte Harry und rieb die Handflächen über die Lehne des Stuhls. Er fühlte ein gewaltiges Unbehagen. Nicht nur, weil er schon wieder in diesem kahlen Besuchsraum saß, sondern wegen seines ganzen Anliegens. Er hatte alle anderen Möglichkeiten abgewogen. Einen persönlichen Kredit aufzunehmen. Bjarne Møller einzuweihen. Seinen Ford Escort an die Werkstatt zu verkaufen, in der er ohnehin schon stand. Doch was er jetzt tat, war die einzige realistische Möglichkeit, die einzige logische Vorgehensweise. Und es war Wahnsinn.
»Und die Telefonnummer ist nicht bloß eine Nummer«, sagte Harry. »Sie wird uns zu dem Abonnenten führen, der mir die Mails schickt. Mails, die beweisen, dass er die Details von Annas Tod kennt, Details, die er nicht wissen könnte, wenn er nicht unmittelbar vor Annas Tod dort war.«
»Und Ihr Freund sagt, dass die Besitzer des Servers 60.000 ägyptische Pfund verlangt haben? Und das sind?«
»Rund 100.000 Kronen.«
»Und die soll ich Ihnen geben?«
»Sie sollen gar nichts, ich sage Ihnen nur, wie die Sache steht. Sie wollen Geld, das ich nicht habe.«
Raskol fuhr sich mit dem Finger über die Oberlippe. »Warum sollte das mein Problem sein, Harry? Wir hatten eine Abmachung und ich habe meinen Part eingehalten.«
»Ich werde meinen auch einhalten, aber ohne Geld wird das länger dauern.«
Raskol schüttelte den Kopf, breitete die Arme aus und murmelte etwas in einer fremden Sprache, die Harry für Romani hielt. Øystein hatte am Telefon verzweifelt geklungen. Es gebe keinen Zweifel, dass sie den richtigen Server gefunden hätten, hatte er gesagt. Doch er hatte sich eine rostige Antiquität in irgendeiner Scheune vorgestellt, bewacht von einem Pferdehändler mit Turban, der vielleicht drei Kamele und ein Päckchen amerikanische Zigaretten forderte, ehe er ihm die Liste aller Abonnenten aushändigte. Stattdessen war er in einem klimatisierten Büro gelandet. Ein junger Ägypter im Maßanzug hatte hinter dem Schreibtisch gesessen und ihn durch eine mit Silber eingefasste Brille gemustert. Der Preis sei »non-negotiable«, und das Geld müsse bar im Laufe von drei Tagen überbracht werden, damit es nicht über die Banken aufgespürt werden könne.
»Ich gehe davon aus, dass Sie sich über die Konsequenzen bewusst sind, falls herauskommt, dass Sie von einem wie mir Geld im Rahmen Ihres Dienstes erhalten haben?«
»Ich bin nicht im Dienst«, sagte Harry.
Raskol fuhr sich mit beiden Händen über die Ohren. »Sun Tzu sagt, dass man zum Spielball der Geschehnisse wird, wenn man die Kontrolle über sie verliert. Sie haben die Kontrolle verloren, Spiuni. Das heißt, Sie haben einen Fehler gemacht. Ich setze nicht auf Menschen, die Fehler machen. Deshalb habe ich einen Vorschlag. Dass wir das für beide Seiten einfach machen. Sie geben mir den Namen des Mannes und ich kümmere mich um den Rest.«
»Nein!« Harry schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Er soll nicht von einem Ihrer Gorillas drittklassig abgeschlachtet werden. Er soll hinter Schloss und Riegel.«
»Sie überraschen mich, Spiuni. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie schon jetzt in einer üblen Zwickmühle. Warum sollen wir nicht einfach der Gerechtigkeit so schmerzfrei wie möglich zum Ziel verhelfen?«
»Keine Vendetta! Das war die Abmachung.«
Raskol lächelte. »Sie sind schon ein harter Brocken, Hole. Das gefällt mir. Und ich respektiere Abmachungen. Aber wie soll ich sicher sein, dass es der richtige Mann ist, wenn Sie anfangen, Fehler zu machen?«
»Sie konnten selbst überprüfen, dass die Schlüssel, die ich in der Hütte gefunden habe, mit denen von Anna übereinstimmen.«
»Und jetzt wollen Sie schon wieder Hilfe von mir. Also müssen Sie mir auch ein bisschen entgegenkommen.«
Harry schluckte. »Als ich Anna gefunden habe, hatte sie eine Fotografie im Schuh.«
»Weiter.«
»Ich glaube, es ist ihr gelungen, sie da zu verstecken, ehe der Mörder sie erschoss. Es ist ein Familienfoto des Mörders.«
»Ist das alles?«
»Ja.«
Raskol schüttelte den Kopf. Sah Harry lange an und schüttelte noch einmal den
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