Die Fährte
vorgezogen. Dann kam der Alte. Er ging auf der rechten Reihe. Aufgrund des Bleistifts in der Ecke lag die lose Wabe ein wenig höher als die anderen, und Lev meinte, der Alte müsse die Gefahr gewittert haben, denn er wurde langsamer, je näher er kam. Als er den letzten Schritt machen sollte, schien er fast zu erstarren.«
Trond schüttelte langsam den Kopf, während er den Müllwagen beobachtete, der krachend den Abfall der Nachbarschaft in sich fraß.
»Als er den Fuß auf den Boden stellte, öffnete sich die Wabe wie eine Falltür. Sie wissen schon, wie wenn Leute erhängt werden. Der Alte brach sich beide Beine, als er auf der Straße aufschlug. Wenn es nicht Sonntagmorgen gewesen wäre, wäre er sofort überfahren worden. Pech nannte Lev das.«
»Hat er das auch der Polizei gesagt?«, fragte Harry.
»Die Polizei, ja«, sagte Trond und blickte in seine Tasse. »Die kam zwei Tage später. Ich war es, der die Tür öffnete. Sie fragten mich, ob das Fahrrad, das vor der Tür stand, jemand im Haus gehörte. Ich sagte ja. Es zeigte sich, dass ein Zeuge Lev von der Brücke hatte wegfahren sehen und das Fahrrad und einen Jungen mit roter Jacke beschrieben hatte. Also zeigte ich ihnen die rote Daunenjacke, die Lev getragen hatte.«
»Sie?«, fragte Harry. »Sie haben Ihren Bruder verraten?«
Trond seufzte. »Ich habe gesagt, dass es mein Fahrrad ist. Und meine Jacke. Und Lev und ich sehen uns ziemlich ähnlich.«
»Warum, zum Henker, haben Sie das getan?«
»Ich war erst vierzehn und zu jung, um verurteilt zu werden. Lev wäre in der Jugendstrafanstalt gelandet, in der auch Roger Gausten gewesen war.«
»Und was sagten Ihr Vater und Ihre Mutter?«
»Was sollten sie schon sagen? Jeder, der uns kannte, wusste doch, dass es Lev war, der das getan hatte. Er war der Verrückte, der Süßigkeiten klaute und Steine warf, während ich der strebsame, liebe Junge war, der seine Hausaufgaben machte und alten Damen über die Straße half. Wir haben nie mehr darüber gesprochen.«
Beate räusperte sich: »Wessen Idee war es, die Schuld auf sich zu nehmen?«
»Meine. Ich liebte Lev über alles. Aber jetzt, da die Sache verjährt ist, kann ich das sagen. Und Tatsache ist …« Trond lächelte sein abwesendes Lächeln. »Manchmal wünschte ich, dass ich es gewagt hätte, so etwas zu tun.«
Harry und Beate fingerten schweigend an ihren Tassen herum. Harry fragte sich, wer von ihnen die Frage stellen würde. Wenn er mit Ellen hier gewesen wäre, hätte er es gespürt.
»Wo …«, begannen sie gleichzeitig. Trond blinzelte sie an. Harry nickte Beate zu.
»Wo ist Ihr Bruder heute?«, fragte sie.
»Wo … Lev ist?« Trond sah sie verständnislos an.
»Ja«, sagte sie. »Wir wissen, dass er seit einer Weile – verschwunden ist.«
Grette wandte sich an Harry. »Sie haben nichts davon gesagt, dass es um Lev geht.« Seine Stimme klang anklagend.
»Wir sagten, das wir mit Ihnen über dieses und jenes sprechen wollten«, sagte Harry, »und jetzt sind wir mit ›dieses‹ fertig.«
Trond stand abrupt auf, nahm seine Tasse, ging zum Spülbecken und kippte den Kakao weg. »Aber Lev … er ist doch … was, zum Teufel, soll er damit zu tun haben?«
»Möglicherweise gar nichts«, sagte Harry. »In diesem Fall hätten wir gerne Ihre Hilfe, um ihn sicher ausschließen zu können.«
»Er wohnt doch nicht einmal hier im Land«, stöhnte Trond und wandte sich ihnen zu.
Beate und Harry wechselten Blicke.
»Und wo wohnt er?«, fragte Harry.
Trond zögerte genau eine Zehntelsekunde zu lange, ehe er antwortete: »Das weiß ich nicht.«
Harry sah zu dem gelben Müllwagen, der draußen vorbeifuhr. »Sie sind kein guter Lügner, oder?«
Trond sah ihn steif an, ohne zu antworten.
»Hm«, sagte Harry. »Vielleicht können wir nicht erwarten, dass Sie uns helfen, Ihren Bruder zu finden. Aber auf der anderen Seite ist es Ihre Frau, die getötet wurde. Und wir haben einen Zeugen, der Ihren Bruder als den Mörder identifiziert hat.« Bei den letzten Worten hob er seinen Blick und sah Trond an. Der Adamsapfel unter der blassen Haut des Halses bewegte sich auf und ab. In der Stille, die dann folgte, konnten sie ein Radio hören, das in der Nachbarwohnung lief.
Harry räusperte sich. »Wenn Sie uns also etwas sagen wollen – wir würden uns sehr freuen.«
Trond schüttelte den Kopf.
Sie blieben noch eine Weile sitzen, dann stand Harry auf. »Gut. Sie wissen, wo Sie uns finden, wenn Ihnen etwas einfällt.«
Als sie wieder auf der Treppe
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