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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Tor auf den Bjørneträkk traten, bemerkten sie deshalb das Taxi nicht, das etwas weiter entfernt am Straßenrand stand. Harry drückte die Zigarette aus, drehte das Autoradio lauter und hörte Elvis Costello Watching The Detectives blöken. Auf dem Sender P4. Er hatte bemerkt, dass seine wütenden Lieblingssongs, wenn sie nur alt genug waren, bei nicht wütenden Radiosendern landeten. Natürlich war er sich im Klaren darüber, dass das nur eins bedeuten konnte – dass auch er alt geworden war. Gestern hatten sie zur besten Sendezeit Nick Cave gespielt.
    Eine einschmeichelnde Stimme kündigte Another Day In Paradise an und Harry stellte das Radio aus. Er kurbelte die Scheibe hinunter und lauschte dem gedämpften Puls des Basses aus dem Haus der Albus, der als Einziges die Stille durchbrach. Ein gepflegtes Fest. Geschäftsverbindungen, Nachbarn und frühere Studienkollegen. Weder Ententanz noch Raveparty, sondern Gin Tonics, Abba und Rolling Stones. Menschen weit über dreißig mit hohem Bildungsniveau. Mit anderen Worten, rasch zurück zum Kindermädchen. Harry sah auf die Uhr. Er dachte an die neue Mail, die sie entdeckt hatten, als Øystein und er seinen Computer eingeschaltet hatten:
     
     
    Ich langweile mich. Hast du Angst oder bist du bloß dumm?
    C#MN
     
     
    Er hatte Øystein den PC überlassen und sich sein Taxi geliehen, einen altersschwachen Mercedes aus den Siebzigern, der bei den Straßenschwellen am Anfang des Villenviertels wie eine alte Federmatratze geschwungen hatte, trotzdem aber traumhaft zu fahren war. Aber er hatte sich entschlossen zu warten, als er die festlich gekleideten Menschen aus dem Hause der Albus kommen sah. Es gab keinen Grund, einen Skandal vom Zaun zu brechen. Und er sollte sich wohl auch ein bisschen Zeit nehmen und nachdenken, ehe er etwas Dummes tat. Harry hatte versucht, einen kühlen Kopf zu behalten, aber dieses Ich langweile mich lag ihm quer im Magen.
    »Jetzt hast du genug nachgedacht«, murmelte Harry sich selbst im Rückspiegel zu. »Jetzt darfst du eine Dummheit machen.«
    Es war Vigdis Albu, die die Tür öffnete. Sie hatte dieses magische Zauberkunststückchen vollbracht, auf das sich nur geübte weibliche Zauberer verstanden und das Männer wie Harry niemals durchschauen würden: Sie war schön geworden. Die einzige konkrete Veränderung, die Harry erkennen konnte, war, dass sie ein türkisfarbenes Abendkleid trug, das gut zu ihren großen – und jetzt überrascht aufgerissenen – blauen Augen passte.
    »Entschuldigen Sie, dass ich so spät noch störe, Frau Albu. Ich würde gerne mit Ihrem Mann sprechen.«
    »Wir haben Gäste«, sagte sie. »Kann das nicht bis morgen warten?« Sie lächelte ihn bittend an, doch Harry sah deutlich, dass sie die Tür am liebsten einfach zugeknallt hätte.
    »Tut mir Leid«, sagte er. »Ihr Mann hat mich angelogen, als er gesagt hat, dass er Anna Bethsen nicht kennt. Und ich glaube, Sie auch.«
    Vigdis Albus Mund verformte sich zu einem stummen O.
    »Ich habe einen Zeugen, der sie zusammen gesehen hat«, sagte Harry. »Und ich weiß, woher das Bild kommt.«
    Sie blinzelte zweimal.
    »Warum …«, stotterte sie. »Warum …«
    »Weil sie ein Verhältnis hatten, Frau Albu.«
    »Nein, ich meine – warum erzählen Sie mir das? Wer hat Ihnen dazu das Recht gegeben?«
    Harry öffnete den Mund und wollte antworten. Er wollte sagen, dass er der Meinung sei, sie habe das Recht, das alles zu erfahren, und dass es ohnehin irgendwann herauskommen würde, doch stattdessen blieb er stehen und sah sie bloß an. Denn sie wusste, warum er ihr das sagte, worüber er selbst sich nicht im Klaren war – bis jetzt. Er schluckte.
    »Das Recht wozu, Liebes?«
    Harry erblickte Arne Albu, der die Treppe herunterkam. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und die Smokingschleife hing lose auf seinem Hemdkragen. Oben im Wohnzimmer hörte Harry David Bowie irrtümlicherweise kundtun This Is Not America.
    »Psst, Arne, du weckst noch die Kinder«, sagte Vigdis, ohne den bittenden Blick von Harry zu wenden.
    »Ach, die würden nicht mal wach, wenn hier jemand eine Atombombe zünden würde«, schnaubte ihr Ehemann.
    »Ich glaube, das ist es, was Herr Hole hier gerade getan hat«, sagte sie leise. »Anscheinend mit dem Wunsch, größtmöglichen Schaden anzurichten.«
    Harry begegnete ihrem Blick.
    »Ja?«, sagte Arne Albu grinsend und legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Darf ich mitspielen?« Sein Lächeln war voller Ironie, doch gleichzeitig offen und

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