Die Fährte
drehen. »Auch bei den anderen. Seh sie fast nie. Sind alle umgezogen, verheiratet oder haben Kinder.« Øystein lachte. Ein hartes, bitteres Lachen. »Wollen jetzt doch alle was aus ihrem Leben machen, wer hätte das gedacht?«
»Hm.«
»Und du? Bist du manchmal noch in Oppsal, he? Dein Alter wohnt doch noch immer da in dem Haus, oder?«
»Ja, aber ich bin nur selten da. Wir telefonieren manchmal.«
»Und deine Schwester? Geht's ihr besser?«
Harry lächelte. »Das Down-Syndrom wird nicht besser, Øystein. Aber sie kommt gut zurecht. Hat in Sogn eine eigene Wohnung. Und einen Lover.«
»Aber hallo. Das ist mehr, als ich hab.«
»Wie läuft es mit dem Fahren?«
»Tja, hab gerade die Taxifirma gewechselt. Der Letzte meinte, ich riech nicht gut. Arschloch.«
»Und noch immer keine Lust, wieder mit Computern zu arbeiten?«
»Bist du verrückt?« Øystein schüttelte sich. Er schien innerlich zu lachen, als er mit dünner Zungenspitze das Blättchen befeuchtete. »Eine Million pro Jahr und ein eigenes Büro, das könnte ich mir schon vorstellen. Aber der Zug ist abgefahren, Harry. Die Zeit für Rock-'n'-Roller wie mich ist in der Computerbranche vorbei.«
»Ich habe mit einem Typ gesprochen, der die Datensicherung für die DnB macht. Er meinte, du hättest immer noch den Ruf eines Pioniers, wenn es darum ging, einen Code zu knacken.«
»Pionier bedeutet alt, Harry. Wer braucht schon einen abgedankten Hacker, der zehn Jahre Entwicklung verschlafen hat? Das verstehst du doch wohl auch, oder? Und dann all dieser Aufstand.«
»Hm, was ist damals eigentlich passiert?«
»Tja, was wohl?« Øystein verdrehte die Augen. »Du kennst mich. Einmal Hippie, immer Hippie. Brauchte Kohle und hab mich an einem Code versucht, von dem ich besser die Finger gelassen hätte.« Er zündete sich die Zigarette an und sah sich vergebens nach einem Aschenbecher um. »Und du? Die Flasche für immer zugedreht?«
»Ich versuch's.« Harry streckte sich nach dem Aschenbecher auf dem anderen Tisch aus. »Bin mit einer Frau zusammen.«
Er berichtete von Rakel, Oleg und dem Gerichtsverfahren in Moskau. Und von dem Leben sonst, womit er schnell fertig war.
Øystein erzählte von den anderen der Clique damals in Oppsal. Über Siggen, der mit einer Frau, die Øystein als viel zu gut für ihn betrachtete, nach Harestua gezogen war, und von Kristian, der nördlich von Minnesund von einem Motorrad überfahren worden war und jetzt im Rollstuhl saß, obgleich die Ärzte meinten, es gebe noch Hoffnung.
»Hoffnung für was?«, fragte Harry.
»Dass er irgendwann wieder ficken kann«, sagte Øystein und nahm einen Schluck aus seinem Bierkrug. Tore war noch immer Lehrer, inzwischen aber von Silje geschieden.
»Seine Chancen stehen jetzt schlecht«, sagte Øystein. »Er hat dreißig Kilo zugenommen. Deshalb ist sie abgehauen. Echt wahr! Torkild hat sie in der Stadt getroffen, und da hat sie ihm erzählt, dass sie all dieses schwabbelige Fett nicht mehr sehen konnte.« Er stellte das Glas ab. »Aber deshalb hast du mich wohl kaum angerufen?«
»Nein, ich brauche Hilfe. Ich bin an einer Sache dran.«
»Böse Buben fangen? Und damit kommst du zu mir, also wirklich.« Øysteins Lachen ging in Husten über.
»Das ist eine Sache, in die ich persönlich verstrickt bin«, sagte Harry. »Das alles ist ein bisschen schwer zu erklären, aber es geht darum, jemanden aufzuspüren, der mir E-Mails nach Hause schickt. Ich glaube, er sendet sie von einem ausländischen Server mit anonymen Abonnenten.«
Øystein nickte nachdenklich. »Du steckst also in Schwierigkeiten?«
»Vielleicht. Warum glaubst du das?«
»Ich bin ein etwas zu durstiger Taxifahrer, der null Ahnung von den neuesten Trends der Datenkommunikation hat. Und alle, die mich kennen, wissen, dass man sich in puncto Arbeit nicht auf mich verlassen kann. Kurz gesagt – der einzige Grund, zu mir zu kommen, ist, dass ich ein alter Freund bin. Loyalität. Weil ich das Maul halte, nicht wahr?« Er nahm einen großen Schluck. »Ich trinke vielleicht, aber ich bin nicht blöd, Harry.« Er zog kräftig an seiner Zigarette. »Also, wann fangen wir an?«
Das Dunkel der Nacht hatte sich über Slemdal gesenkt. Die Tür ging auf, und ein Mann und eine Frau traten auf die Treppe. Sie verabschiedeten sich gut gelaunt vom Gastgeber, gingen mit ihren schwarzen, glänzenden Schuhen über den knirschenden Kies der Auffahrt und kommentierten das Essen, den Gastgeber und die anderen Gäste. Als sie durch das
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