Die Fährte
drei Pflegern im Fernsehraum, und ich habe ein paar Männer von der Spurensicherung in Grettes Wohnung geschickt, um seine Fingerabdrücke zu bekommen. Weber hat sie gerade mit denen auf der Colaflasche verglichen. Es sind definitiv nicht seine Abdrücke.«
»Du hast dich also einmal getäuscht?«
Beate schüttelte den Kopf. »Wir suchen nach einer Person, deren gesichtsmäßige Charakteristik Grette in etwa entspricht.«
»Tut mir Leid, das zu sagen, Beate, aber Grette hat weder eine gesichtsmäßige noch sonst irgendeine Charakteristik. Er ist ein Buchhalter, der wie ein Buchhalter aussieht. Ich habe sein Gesicht schon wieder vergessen.«
»Ah ja«, sagte Beate und zog das Butterbrotpapier von einer weiteren Scheibe. »Ich nicht. Das ist ein Anhaltspunkt.«
»Hm. Möglicherweise habe ich eine gute Neuigkeit.«
»Ja?«
»Ich bin auf dem Weg hinüber ins Botsen. Raskol will mit mir sprechen.«
»Uii, na dann viel Glück.«
»Danke.« Harry stand auf. Zögerte, nahm Anlauf. »Ich weiß, dass ich nicht dein Vater bin, aber darf ich dir etwas sagen?«
»Bitte.«
Er blickte sich um, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand hören konnte.
»An deiner Stelle wäre ich vorsichtig mit Waaler.«
»Danke.« Beate biss in ihr Brot. »Und übrigens, was du über dich und meinen Vater gesagt hast, stimmt.«
»Ich habe mein ganzes Leben in Norwegen gelebt«, sagte Harry. »Bin in Oppsal aufgewachsen. Meine Eltern waren Lehrer. Mein Vater ist Rentner, seit dem Tod meiner Mutter lebt er irgendwie wie ein Schlafwandler, der nur ganz selten einmal seine wachen Mitmenschen besucht. Meine kleine Schwester vermisst ihn. Ich auch, glaube ich. Ich vermisse sie beide. Sie dachte, auch ich würde Lehrer werden. Ich vermutlich auch. Doch daraus wurde dann die Polizeischule. Und ein bisschen Jura. Wenn Sie mich fragen, warum ich mich für die Polizei entschieden habe, kann ich Ihnen zehn gute Gründe geben, aber keinen einzigen, an den ich wirklich glaube. Aber daran denke ich jetzt nicht mehr oft. Das ist ein Job, sie bezahlen mich, und manchmal habe ich das Gefühl, etwas Gutes zu tun – davon zehre ich dann lange. Schon mit Ende zwanzig war ich Alkoholiker, vielleicht war es auch schon Anfang zwanzig, kommt darauf an, wie man das sieht. Es heißt, das liegt in den Genen. Möglich. Als Erwachsener erfuhr ich, dass mein Großvater in Åndalsnes fünfzig Jahre lang jeden Tag voll war. Bis ich fünfzehn war, haben wir dort alle Sommerferien verbracht, ohne dass ich jemals etwas bemerkt hätte. Das Talent habe ich aber leider nicht geerbt. Ich habe Sachen gemacht, die nicht gerade unauffällig waren. Kurz gesagt, ist es ein Wunder, dass ich noch bei der Polizei bin.«
Harry blinzelte zum Bitte nicht rauchen-Schild empor und zündete sich eine Zigarette an.
»Anna und ich waren sechs Wochen lang zusammen. Sie liebte mich nicht und ich sie auch nicht. Als ich sie nicht mehr anrief, tat ich ihr einen größeren Dienst als mir selbst, was sie allerdings nicht so sah.«
Der andere Mann im Raum nickte.
»Ich habe in meinem Leben drei Frauen geliebt«, fuhr Harry fort. »Die erste war eine Jugendliebe, die ich fast geheiratet hätte, doch dann ging die Sache plötzlich auseinander. Sie hat sich lange nach unserer Trennung das Leben genommen, aber das hatte nichts mehr mit mir zu tun. Die andere wurde von einem Mann ermordet, dem ich auf der anderen Seite der Erde auf den Fersen war. Das Gleiche geschah mit meiner Kollegin Ellen. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber die Frauen in meinem Umfeld sterben. Vielleicht sind das die Gene.«
»Und was ist mit der dritten Frau, die sie geliebt haben?«
Die dritte Frau. Der dritte Schlüssel. Harry fuhr mit den Fingern über die Initialen A.A. und die Zacken des Schlüssels, den Raskol ihm über den Tisch geschoben hatte, als Harry hereingelassen worden war. Raskol hatte genickt, als Harry ihn gefragt hatte, ob es der gleiche sei wie der, den er mit der Post bekommen habe.
Dann hatte er Harry gebeten, von sich zu erzählen.
Jetzt hatte Raskol die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die langen, schlanken Finger wie zum Gebet verflochten. Die kaputte Neonröhre war ausgewechselt worden und das Licht lag wie blauweißer Puder auf seinem Gesicht.
»Die dritte Frau ist in Moskau«, sagte Harry. »Ich glaube, sie ist lebensfähig.«
»Ist sie die deine?«
»Ich würde das nicht so ausdrücken.«
»Aber ihr seid zusammen?«
»Ja.«
»Und ihr wollt den Rest eures Lebens miteinander
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