Die Fährte
verbringen?«
»Nun. Wir planen das nicht. Dafür ist es noch etwas zu früh.«
Raskol lächelte traurig. »Sie planen das nicht, meinen Sie. Aber Frauen planen. Frauen planen immer.«
»Genau wie Sie?«
Raskol schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, wie man Raubüberfälle plant. Wenn es um den Raub eines Herzens geht, sind alle Männer Amateure. Wir mögen glauben, dass wir sie erobert haben, wie ein Feldherr, der eine Festung eingenommen hat, und bemerken zu spät – wenn überhaupt –, dass wir in eine Falle gelockt worden sind. Haben Sie von Sun Tzu gehört?«
Harry nickte. »Chinesischer General und Kriegstaktiker. Er hat Die Kunst des Krieges geschrieben.«
»Es heißt, er habe Die Kunst des Krieges geschrieben. Ich persönlich glaube, dass das eine Frau verfasst hat. Die Kunst des Krieges ist angeblich ein Handbuch über die Taktik auf dem Schlachtfeld, doch zwischen den Zeilen geht es darum, wie man Konflikte meistert. Oder präziser: die Kunst, das, was man will, zu einem möglichst niedrigen Preis zu bekommen. Der Gewinner eines Krieges ist nicht notwendigerweise auch der Sieger. Viele haben die Krone gewonnen, aber so viele Krieger verloren, dass sie nur mit dem Segen ihrer angeblich besiegten Feinde regieren können. Frauen haben nicht diese Eitelkeit, was Macht angeht. Sie brauchen nicht die sichtbare Macht, sie brauchen nur so viel Macht, um zu bekommen, was sie wollen. Sicherheit. Nahrung. Genuss. Rache. Frieden. Sie sind die rationalen, planenden Machtmenschen, die nicht nur bis zur nächsten Schlacht oder Siegesfeier denken. Und weil sie überdies die angeborene Fähigkeit haben, die Schwächen ihrer Opfer zu erkennen, wissen sie instinktiv, wann und wo sie zuschlagen und wann sie loslassen müssen. So etwas kann man nicht lernen, Spiuni.«
»Sitzen Sie deshalb im Gefängnis?«
Raskol schloss die Augen und lachte lautlos. »Ich gebe Ihnen gerne eine Antwort, aber Sie sollten kein Wort von dem, was ich sage, glauben. Sun Tzus erstes Prinzip im Krieg ist die Tromperie – der Betrug. Glauben Sie mir – alle Zigeuner lügen.«
»Hm. Ihnen glauben — ein Paradoxon, wie in der griechischen Mythologie?«
»Sieh an, ein Polizist, der sich auf mehr versteht als bloß den Buchstaben des Gesetzes. Wenn alle Zigeuner lügen und ich ein Zigeuner bin, stimmt es also nicht, dass alle Zigeuner lügen. Also ist das, was ich sage, wahr, was wiederum bedeutet, dass es stimmt, dass alle Zigeuner lügen. Also lüge ich. Ein logisch geschlossener Kreis, aus dem man unmöglich ausbrechen kann. So ist mein Leben und das ist das einzig Wahre.« Er lachte weich, fast feminin.
»Nun, jetzt kennen Sie meine Eröffnung. Sie sind am Zug.«
Raskol sah Harry an. Dann nickte er.
»Ich heiße Raskol Baxhet. Das ist ein albanischer Name, doch mein Vater bestand darauf, dass wir keine Albaner sind, denn Albanien war, seiner Meinung nach, die Analöffnung Europas. Deshalb wurde mir und allen meinen Geschwistern erzählt, wir stammten aus Rumänien, wir seien in Bulgarien getauft und in Ungarn beschnitten worden.«
Raskol erzählte, dass die Familie vermutlich zu den Meckariern gehöre, der größten albanischen Zigeunergruppe. Die Familie entkam der Zigeunerverfolgung durch Enver Hoxha und floh durch die Berge nach Montenegro, von wo aus sie sich nach Osten vorarbeiteten.
»Wohin wir auch kamen, wurden wir verjagt. Immer hieß es, wir würden stehlen. Das taten wir natürlich auch, doch sie kümmerten sich nicht einmal darum, Beweise zu liefern, es reichte, dass wir Zigeuner waren. Ich erzähle das, weil man, wenn man Zigeuner verstehen will, wissen muss, dass sie mit dem Stempel einer unteren Kaste auf der Stirn geboren werden. Wir sind von allen Regimes Europas verfolgt worden, egal ob Faschisten, Kommunisten oder Demokraten. Die Faschisten waren bloß etwas effektiver. Die Zigeuner haben keine spezielle Beziehung zum Holocaust, weil der Unterschied zu der Art Verfolgung, die man ohnehin schon gewohnt war, nicht so groß war. Sie sehen aus, als würden Sie mir nicht glauben?«
Harry zuckte mit den Schultern. Raskol verschränkte die Arme.
»1589 wurde in Dänemark die Todesstrafe für die Anführer von Zigeunersippen eingeführt«, sagte er. »Fünfzig Jahre später entschloss man sich in Schweden dafür, alle männlichen Zigeuner zu hängen. In Mähren schnitt man den Frauen der Zigeuner das linke Ohr ab, in Böhmen das rechte. Der Erzbischof von Mainz verkündete, dass alle Zigeuner ohne Urteil hingerichtet
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