Die Fahrt des Leviathan
gerollt war, nahm er das Paket wieder unter den Arm und setzte äußerlich völlig ruhig seinen Weg fort. Er beschleunigte seinen Gang, um die Abfahrt des Zuges nach Savannah nicht zu versäumen; schließlich sollte das Paket ja möglichst noch an diesem Tag seinen Empfänger erreichen.
* * *
David Levi fand, dass es an der Zeit war, eine Pause zu machen. Den halben Vormittag hatte er bereits im Lagerhaus der Richmond-Handelsgesellschaft damit zugebracht, Patronen abzuzählen. Wenigstens für einige Minuten musste er die ermüdende Routine dieser eintönigen Arbeit unterbrechen. Er entnahm der Munitionskiste eine weitere papierummantelte Patrone und vergewisserte sich durch einen schnellen Augenschein, dass er auch dieses Exemplar ohne Bedenken an die Freiwilligen ausgeben konnte. Umsichtig legte er sie in eine lederne Umhängetasche, die er sodann zu den einundsechzig anderen auf den Boden stellte. Jede enthielt fünfzig Patronen für die österreichischen Lorenz-Gewehre der NeitherNors. Die Kämpfer erhielten von ihm einen reichlich bemessenen Munitionsvorrat, damit sie gar nicht erst auf die Idee kamen, beim Feuern zurückhaltend zu sein. Das pausenlose Krachen ihrer Schüsse würde ganz Friedrichsburg davon überzeugen, dass es diesen Männern todernst war. Und das war wichtig.
Nachdem er die Patronentasche abgestellt hatte, setzte Levi sich auf einen Tabakballen, auf dem auch schon das eingewickelte Käsebrot und die Zeitung lagen, die er sich mitgebracht hatte. Er entfernte das Pergamentpapier vom Brot und nahm die Zeitung zur Hand. Der Artikel auf der Titelseite befasste sich ausführlich mit dem Aufruhr vom Vortag; die Erwähnung Major Pfeyfers quittierte Levi mit einem missmutigen Rümpfen der Nase. Lächeln musste er hingegen, als er im darauffolgenden Absatz las, die liberalen Delegierten hätten den Kongress wegen des Tumults vertagt, würden jedoch ungeachtet aller Drohungen in zwei Wochen erneut zusammentreten und sich dann durch keine Macht der Welt davon abhalten lassen, ihre Beschlüsse zu fassen.
Um was wollen wir wetten, dass dieser Kongress nicht fortgesetzt wird?,
dachte Levi mit wissendem Grinsen. Mit Appetit biss er ein großes Stück von seinem Käsebrot ab.
* * *
Kritisch betrachtete Wenzel von Kolowrath sein Ebenbild im Spiegel. Dennoch fand er an der Wirkung seiner Maske nichts auszusetzen. Mit geringsten Mitteln hatte er sein Aussehen so verändert, dass ihm ein fremder Mensch entgegenblickte.
Geschickt in den Wangen platzierte wulstige Baumwolltampons, die eigentlich zum Aufpolstern von Damenfrisuren gedacht waren, verliehen seinem Gesicht neue Proportionen, eine einfache graue Perücke ließ ihn gut und gerne zwanzig Jahre älter erscheinen. Die blaue Schirmmütze machte ihn vollends unkenntlich.
Die Verwandlung in einen Kontrolleur der Friedrichsburger Gaswerke war perfekt.
Hochzufrieden nahm er die Baumwollrollen wieder aus dem Mund. Noch benötigte er diese Kostümierung nicht. Aber bald schon würde sie ihm gute Dienste leisten. Nicht, dass am Ende noch sein gesamter Plan ins Wanken geriet, nur weil ihn jemand im denkbar ungeeignetsten Moment erkannte und Verdacht schöpfte.
Eigentlich aber hielt Kolowrath ein Scheitern seines minutiös durchdachten Vorhabens für undenkbar. Mit unerbittlicher Zwangsläufigkeit entwickelten sich die Ereignisse genau so, wie er es wünschte. Wie immer, wenn er etwas in Angriff nahm.
Kolowrath setzte den falschen Haarschopf wieder auf den hölzernen Perückenkopf und ordnete die grauen Strähnen mit einigen Bürstenstrichen. Alles musste perfekt sein.
11. Februar
»Wir werden ihnen also gehörig auf die Füße treten«, resümierte Rebekka Heinrich. Unermüdlich hatte sie in den vergangenen Tagen das weit gespannte Netz ihrer Kontakte eingesetzt und sämtliche Verbindungen spielen lassen, um Verbündete zu gewinnen. Nun stand fest, dass ihre Anstrengungen Früchte trugen. Es war ausgemachte Sache, dass kein schwarzer Hafenarbeiter auch nur den kleinen Finger rühren würde, um die
Leviathan
zu entladen.
»Wenn Georg nicht wohlbehalten zurückkehrt, werde ich diesem Kapitän Hendricks ganz woanders hintreten«, erwiderte Amalie von Rheine. Sie versuchte, es wie einen galligen Scherz klingen zu lassen. Aber ihre Angst um Doktor Täubrich erfüllte sie mit einer Erbitterung, die grollend unter der Oberfläche ihrer Worte hervordrang.
Major Pfeyfer, der mit den beiden Frauen am Tisch in Rebekkas Bibliothek saß, haderte noch
Weitere Kostenlose Bücher