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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Worte aus, als flehte er um sein Leben.
    »Nicht doch, nicht doch«, redete Rebekka, selber erleichtert, weil ihre schlimmen Vorahnungen sich nicht bestätigt hatten, beruhigend auf ihn ein. »Flüche sind nichts als Einbildung. Und was es nicht wirklich gibt, kann Sie auch nicht in die Hölle bringen.«
    »Sie – Sie sind sich ganz sicher?«
    »Vollkommen. Gott weiß, auf welche Weise Charles Beaulieu eines Tages zu Tode kommt. Aber Ihr Fluch wird nichts damit zu tun haben«, versicherte Rebekka ihm mit dem gleichen Tonfall, den sie auch anwandte, um Schülerinnen wieder aufzurichten, deren Sorgen und Nöte sie zu übermannen drohten. Amalie griff unterstützend ein und bekräftigte mit sanfter Überzeugungskraft alles, was die Direktorin sagte.
    Die Worte der zwei Frauen verfehlten die erhoffte Wirkung nicht. Bob Prinz war anzusehen, dass eine unglaublich schwere Last von ihm abfiel. Die Angst wich aus seinen Zügen, seine in den Stoff der Mütze gekrampften Finger lösten sich langsam. Er versuchte, seinen Dank auszusprechen, verhaspelte sich dabei aber im Überschwang der Empfindungen mehrmals.
    Rebekka und Amalie erlösten ihn von diesen Bemühungen, indem sie ihn wissen ließen, dass absolut kein Dank nötig war, sondern sie sich geehrt fühlten, ihm geholfen zu haben.
    Überglücklich verabschiedete er sich und wollte die Bibliothek schon verlassen, da wandte sich Pfeyfer, der bislang gedankenschwer geschwiegen hatte, plötzlich an ihn und erkundigte sich: »Nur rein interessehalber … entsinnen Sie sich noch, an welche Adresse das Paket für Beaulieu gerichtet war?«
    Seine Frage trug dem Major einen strafenden Blick von Rebekka ein; sie konnte aber nicht mehr verhindern, dass Bob Prinz, der bereits in der Tür stand, sich noch einmal herumdrehte und antwortete.
    »Ja, gewiss. Das werde ich nie vergessen. Das Paket trug als Anschrift das Militärlager Hutchinson Island in Savannah. Beaulieu ist jetzt Oberst des Regiments dort.«
    »Hutchinson Island!«, wiederholte Pfeyfer kaum vernehmbar, doch durchdringend schneidend.
    In sein Antlitz trat etwas, das Rebekka nicht gefiel. Es erinnerte sie an einen Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte und sich durch keine Macht der Welt davon abbringen lassen würde, dem einmal entdeckten Wild nachzusetzen. Bis zum blutigen Ende.

12. Februar
    »Du bist wahnsinnig«, zog Rebekka resignierend ihr Fazit.
    Eine Nacht und einen halben Tag hindurch hatte sie versucht, Pfeyfer von seinem Vorhaben abzubringen. Es war ihr nicht gelungen. Nun stand sie ihm auf dem Bahnsteig gegenüber und sträubte sich, seine Hände loszulassen.
    »Ich werde Beaulieu finden, in die Mangel nehmen und danach unversehrt wieder zu dir zurückkehren«, versprach der Major. Er hatte für die Reise seinen einzigen Zivilanzug angelegt und wirkte, als trüge er die Kleidung eines Fremden. »Finde ich den verfluchten Kerl nicht binnen achtundvierzig Stunden, fahre ich wieder heim und gestatte mir keinen zweiten Versuch. Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
    Rebekka unterdrückte ein Seufzen. »Wieso bloß kann ich dich nicht von deiner selbstmörderischen Absicht abbringen? Du bist ein elender Dickkopf.«
    »Genau wie du«, entgegnete Pfeyfer.
    Zum ersten Mal seit vielen Stunden zeigte sich die Andeutung eines Lächelns auf Rebekkas Gesicht. »Ja, wie ich. Und darum kann ich dir auch nicht böse sein, glaube ich.«
    Drei helle Glockenschläge in rascher Folge tönten durch die Halle und kündigten die bevorstehende Abfahrt des Schnellzugs nach Savannah an. Die Kondukteure eilten die Waggons entlang und schlossen noch offen stehende Abteiltüren, die Lokomotive holte mit einem wuchtigen Schnaufen tief Atem.
    Da sie nun vollends überzeugt war, ihn nicht aufhalten zu können, löste Rebekka widerstrebend ihre Finger von Pfeyfers Händen. Noch einmal blickte der Major ihr wortlos in die Augen, dann stieg er in sein Coupé und zog von innen die Tür zu. Er ließ das Fenster hinab und streckte Rebekka die Hand entgegen. Sie konnte ihn gerade noch berühren; dann stieß die Lokomotive ein gewaltig stampfendes Keuchen aus und der Zug setzte sich unter Klirren und Ächzen mit einem kräftigen Ruck in Bewegung. Die Fingerspitzen wurden voneinander fortgerissen.
    Pfeyfer bedachte Rebekka mit einem letzten Blick, der ihr wohl Zuversicht schenken sollte; doch er bewirkte damit das Gegenteil. Ein angstvolles Gefühl überkam sie, als würde eine unsichtbare Klaue sie an der Kehle packen und zudrücken. Sie

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