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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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die
Leviathan
durch ein Nichts, das sich ohne Anfang und Ende ausbreitete. Das harte Licht des abnehmenden Mondes ließ die Wellenkämme glitzern und machte sie zu Pendants der hoch darüber funkelnden Sterne.
    Mehr denn je war der Doktor überzeugt, dass die Ladung des Schiffes nicht in die Hände der Konföderation gelangen durfte. Zugleich jedoch war ihm quälend deutlich bewusst, dass er es nicht zu verhindern vermochte. Er hatte durch Leichtsinn seine Chance verspielt. Nun musste er bei seiner Heimkehr vor Amalie treten und sein Scheitern beichten.
    Falls ich überhaupt heimkehre,
dachte er finster. Täubrich traute Hendricks nicht. Gewiss, der Kapitän hatte sein Wort gegeben, ihn nicht zu töten. Aber was war das Wort eines Irren wert, der in maßlosen Wahnbildern der Gewalt schwelgte?
    Er schaute auf den imaginären Punkt in der schwarzen Ferne, auf die der Bugspriet wies. Dorthin, wo irgendwo unterhalb des hellen Dreigestirns Friedrichsburg lag, nur noch einen Tag entfernt und doch vielleicht unerreichbar weit fort.
    Da stutzte Täubrich. Er erkannte die auffällige Reihe aus drei Sternen natürlich, denn um seine Yacht zu führen, hatte er sich gründliche Kenntnisse der Navigation nach den Gestirnen angeeignet. Die
Leviathan
hielt genau auf das Sternbild des Orion zu. Das bedeutete, dass sie auf Westkurs fuhr. Doch Karolina lag im Südwesten.
    Hat Hendricks etwa in seinem Delirium vergessen, wie man einen Kurs berechnet?,
dachte der Doktor und stieß ein zynisches Schnauben aus.
    »Wollen Sie noch lange hier draußen bleiben? Wir frieren uns noch die Zehen ab«, beschwerte sich eine der abseits wartenden Wachen.
    Täubrich drehte sich herum und schüttelte den Kopf. »Dann müsste ich Sie ja verarzten. Das will ich nun wirklich vermeiden«, antwortete er den beiden fröstelnden Männern, die sich in die klammen Hände hauchten. Ob sie seinen beißenden Unterton nicht wahrnahmen oder diesen ignorierten, konnte er nicht erkennen. Sie nickten einfach nur und bedeuteten ihm voranzugehen.
    Täubrich machte sich auf den Weg zurück unter Deck. Nun begann er empfindlich zu spüren, wie die Kälte durch seine Kleidung drang. Er fror sehr.

13. Februar
Kurz nach Mitternacht
    Georg Täubrich schreckte auf. Schüsse! Nicht in dem wirren Albtraum, der ihn in seinem unruhigen Schlaf heimgesucht hatte. Sie waren wirklich.
    Erstarrt saß Täubrich aufrecht im Bett und horchte angespannt ins Dunkel. Immer weitere Schüsse krachten über ihm an Deck in rascher Folge. Zwischen dem Knallen glaubte er Fetzen menschlicher Stimmen auszumachen, panische Schreie, die wie grelle Spitzen aus dem Lärm stachen.
    Nach wenigen Augenblicken, die sich für Täubrich zu einer nervenzerrenden Ewigkeit dehnten, versiegten die Geräusche. Wie verlorene Nachzügler fielen noch einige einzelne Schüsse. Dann war Stille. Er hörte nichts mehr. Nichts außer dem Rauschen seines eigenen Blutes, das von hetzenden Herzschlägen getrieben durch die Adern in seinen Ohren jagte.
    Chaotisch überschlugen sich seine Gedanken. Was war geschehen? Was ging an Deck vor? Die Ungewissheit wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. Er versuchte Ruhe zu bewahren, einen klaren Kopf zu erlangen. Aber kaum war es ihm gelungen, sich ein wenig zu fassen, da bemerkte er etwas, das ihm zuvor entgangen war. Das unentwegte Vibrieren, das von den gewaltigen Dampfmaschinen ausging, war verschwunden. Die
Leviathan
lag wie tot.
    Ein plötzliches Klopfen an der Kabinentür ließ Täubrich, dessen Nerven blank lagen, zusammenfahren. »Ziehen Sie sich an, Doktor«, tönte es von draußen. »Der Kapitän will Sie sehen. Sofort!«
     
    Ein Bild des Grauens breitete sich vor Täubrich aus, als er an Deck kam. So furchtbar war der Anblick, dass sich sein Geist im ersten Moment dagegen wehrte, das Szenario des Schreckens als wirklich anzuerkennen. Doch es war blutige Realität. Matrosen, Heizer, Maschinisten, Schiffsoffiziere, die gesamte Mannschaft der
Leviathan
lag tot auf dem Oberdeck, dicht an dicht. Im dünnen Licht des Mondes sahen ihre Körper aus wie zerbrochene und achtlos zu Boden geworfene Puppen, die Gliedmaßen teils durch den Sturz grotesk verdreht. Fast alle stierten aus weit aufgerissenen Augen in die Leere. Die unregelmäßig wuchernden Blutflecken, die sich um münzgroße Löcher in Hemden und Jacken ausbreiteten, wirkten im silbrigen Mondschein nicht rot, sondern tintenschwarz.
    Rings um die Leichen standen die NeitherNors, die Waffen noch in Händen. Hendricks

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