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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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das gesamte Geschehen durch die weit offen stehende Tür mit. In dem schmächtigen Gasmann, auf den der Kronprinz augenscheinlich sehr schlecht zu sprechen war, erkannte sie voller Verblüffung niemand geringeren wieder als Krüger, ihren unleidlichen Mitpassagier von der
Suebia.
    Was ist hier eigentlich los?,
fragte sie sich verstört.
     
    Levi hatte sie hintergangen, das war den NeitherNors auf dem Prinzenplatz mit aller Brutalität klar geworden. Nachdem sie ihre erste Konfusion überwunden hatten, dachten sie gar nicht daran, einfach aufzugeben. So, wie sie es in Wochen des Drills eingebläut bekommen hatten, bildeten sie eine zweigliedrige Schützenlinie und feuerten eine Salve nach der anderen auf die Verräter im Palais.
    Doch ein Fluch schien über ihnen zu liegen. Ihre Schüsse richteten absolut nichts aus. Dafür hielten die Kugeln ihrer Feinde blutige Ernte. Die Reihen der NeitherNors lichteten sich furchterregend schnell. Einer nach dem anderen sackte getroffen in sich zusammen. Trotzdem hielten sie stand, wütend entschlossen, ihr Ziel doch noch zu erreichen. Und Rache zu nehmen für den Verrat. Sie schossen und luden unbeeindruckt von den Verheerungen, die das gegnerische Feuer unter ihnen anrichtete.
    Unvermittelt entlud sich hinter ihnen der berstende Lärm von hundert zugleich feuernden Gewehren. Die Hälfte der NeitherNors fiel tot auf den Boden. Die restlichen rissen die Köpfe herum und sahen, dass in ihrem Rücken eine große Zahl preußischer Soldaten auf den Platz geströmt war.
    Die Preußen hielten sich nicht damit auf, nochmals zu schießen. Unter markerschütterndem Gebrüll stürzten sie sich mit ihren Bajonetten auf die NeitherNors.
     
    Weavers Anwalt Franklin Potter war es wie vorgesehen gelungen, mit seinen Leuten kampflos das Postamt zu besetzen. In ihrer Freude über den mühelos errungenen Erfolg hatten sie lauthals gejubelt und
Dixie
angestimmt. So lange, bis preußisches Militär vor dem Postgebäude erschienen war und das Feuer eröffnet hatte. Der Jubel war vergessen. Verzweifelt versuchten die NeitherNors, sich zu verteidigen. Von den Fenstern der Schalterhalle aus feuerten sie unentwegt auf die schnell näher rückenden Soldaten, luden hektisch nach, feuerten erneut. Umsonst. Kein einziger Angreifer fiel. Die Preußen schienen mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
    Beißender Pulverqualm erfüllte die Halle. Überall schlugen Geschosse ein, Glas splitterte mit grellem Klirren und Putz platzte krachend von den Wänden. Schmerzensschreie tönten durch das Inferno.
    Der schmalgesichtige Advokat legte das Gewehr an und zielte aus dem Fenster auf einen schwarzen Sergeanten, der keine zehn Schritt entfernt stand und ihm gerade den Rücken zuwandte. Er konnte ihn nicht verfehlen. Es war unmöglich. Potter drückte ab, der Schuss knallte. Unverletzt fuhr der Sergeant herum und fixierte ihn mit tödlichem Hass in den Augen.
    Hastig duckte Potter sich wieder in den Schutz der Wand. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Gehetzt holte er eine frische Patrone aus der Tasche, um rasch nachzuladen. Als er aber die papierummantelte Kartusche in den fahrig zuckenden Fingern hielt, kam ihm plötzlich ein furchtbarer Verdacht.
    Mit den Zähnen biss er die Spitze der Papierhülle ab. Dort hätte sich die Bleikugel befinden müssen. Doch die Patrone enthielt nichts als Schießpulver.
    Platzpatronen!
    Die Türflügel wurden aufgebrochen, preußische Soldaten stürmten die Schalterhalle. Potter sprang auf, suchte panisch nach einem Versteck, einem Ausweg. Er konnte nicht mehr entkommen. Ein schwarzer und ein weißer Preuße trieben ihn mit vorgehaltenen Bajonetten in eine Ecke. Sie gaben ihm keine Gelegenheit, um Gnade zu betteln. Aus seinem vor Angst zugeschnürten Hals kamen nur noch einige unverständliche Laute. Zwei Klingen bohrten sich gleichzeitig in seine Brust.
     
    * * *
     
    Mit Argusaugen inspizierte Pfeyfer die Stellungen der Jäger. Er schritt das Ufer ab, nahm jede Schanze streng in Augenschein und stellte sicher, dass von der anderen Seite des Flusses aus nichts erkennbar war, was den herannahenden Feinden eine Warnung sein konnte. Sie mussten blind ins offene Messer laufen, sollte die erste Salve sie unerwartet und mit maximaler Wirkung treffen. Zudem konnte der Schock ihrer Kampfmoral einen schweren Schlag versetzen. Wohl nicht so schwer, dass sie allesamt ihr Heil in wilder Flucht suchten, dazu waren sie gewiss zu sehr von ihrem Ziel durchdrungen. Aber Pfeyfer nahm fest an, dass

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