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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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die Südstaatler sich auf einer Art Vergnügungsausflug wähnten. Der unvorhergesehene Blutzoll würde sie verunsichern, ihnen nachfolgenden Angriffen die Verve nehmen. Zumindest erhoffte Pfeyfer das.
    An der Brücke angekommen, traf er mit Junger-Fuchs zusammen, unter dessen Anleitung ein Dutzend Soldaten die Befestigungen unmittelbar zu beiden Seiten des Bahndamms verstärkten. Hier war mit dem heftigsten Feuer zu rechnen; wie zufällig an die Holzstapel gelehnte Bohlen sollten die Stellungen zusätzlich sichern.
    »Alles bereit. Die Schiene ist auch losgeschraubt«, meldete der Hauptmann. Er zückte die Uhr. »Sollten sie tatsächlich gegen halb elf kommen, bleibt uns jetzt noch über eine Stunde. Ich weiß nicht, was am Ende schlimmer ist, das Gefecht oder das Warten darauf.«
    Pfeyfer reagierte nicht sofort. Seine Gedanken waren unversehens zu Rebekka abgedriftet. Seit einer Viertelstunde befand sich Friedrichsburg in den Händen einer Handvoll Gesetzloser. Auch Rebekka war ihnen ausgeliefert. Er mochte sich nicht ausmalen, was ihr alles zustoßen konnte. Und noch viel weniger wollte er daran denken, was ihr bevorstand, sollte es den Konföderierten gelingen, diese Brücke zu passieren.
    »Das Warten«, antwortete er nach einem Moment des Schweigens.
     
    * * *
     
    »Also sind auch Sie hier.« Prinz Friedrich empfing den ins Arbeitszimmer tretenden Helmuth von Moltke mit ungnädiger Kälte. »Nicht aus Zufall, vermute ich.«
    Der General deutete durch das Neigen des Kopfes eine unmilitärische Verbeugung an und erwiderte nüchtern: »Seine Exzellenz Herr von Bismarck und Kriegsminister Roon waren übereinstimmend der Auffassung, dass diese Geschehnisse von einigem Interesse für mich sein könnten, Hoheit. Und ich teilte ihre Ansicht.«
    »Ich werde mit diesen Herren so einiges zu bereden haben, sobald ich nach Berlin zurückgekehrt bin«, bemerkte der Kronprinz grimmig und blickte dabei kurz auf den ein wenig hinter Moltke wartenden Stieber, der mittlerweile seine runde Brille wieder aufgesetzt hatte; fast hätten seine Züge so belanglos wie immer gewirkt, wäre da nicht das hintergründige Glänzen triumphierender Selbstgefälligkeit gewesen, das sich in seinen Augen spiegelte. »Vorerst aber stehen andere Dinge im Vordergrund. Wie sieht es in der Stadt aus? Wird noch gekämpft?«
    »Nein, Hoheit. Die Aufständischen konnten allenthalben niedergerungen werden«, berichtete der General. »Bedauerlicherweise überlebte keiner von ihnen. Unsere Soldaten waren in höchster Rage, weil diese Leute sie versklaven oder aus dem Lande jagen wollten, und gewährten deshalb kein Pardon.«
    Stieber machte durch ein verhaltenes Räuspern auf sich aufmerksam. »Ich bitte um Vergebung. Eure Hoheit, Herr General, würden Sie mich für einen Moment entschuldigen?«
    Der Kronprinz zeigte kein Bestreben, ihn in seiner Nähe zu halten. So entfernte Stieber sich und ging hinüber zu der Schuldirektorin und der jungen Lehrerin, die bei den Fenstern standen und ihn schon eine ganze Weile misstrauisch beobachteten.
     
    Ein Lakai hatte Rebekka und Amalie auf Weisung des Prinzen zur Beruhigung nach all den Aufregungen Likör gereicht; aber sie hielten die gefüllten Gläser noch immer in den Händen. Ihnen war nicht danach, sich zu beruhigen. Sie versuchten zu verstehen, was eigentlich um sie herum geschah.
    Obwohl sie keine befriedigende Antwort fanden, erfassten sie intuitiv, dass der Mann, der unter dem Namen Krüger auf demselben Schiff wie Amalie nach Karolina gelangt war, auf irgendeine Weise mit den sich überstürzenden Ereignissen in Verbindung stand. Welcher Art diese Verbindung war, blieb ihnen vorerst jedoch ein absolutes Rätsel.
    Die ganze Zeit hatten sie verfolgt, wie er mit dem Kronprinzen sprach, der ihm unverhohlen mit kalter Distanziertheit begegnete und ihm dennoch Gehör zu schenken schien, wenn auch widerwillig. Nun kam der schmächtige Mann mit dem dürftigen Bärtchen auf sie zu und lächelte verbindlich. Die beiden Frauen waren fest entschlossen, ihm Antworten auf wenigstens einige ihrer zahllosen Fragen abzunötigen.
    Unter Verbeugungen machte er zunächst der Schuldirektorin die Honneurs, dann der Lehrerin, und bat um Vergebung dafür, sie über all dem Trubel nicht eher begrüßt zu haben. »Besonders, da unser doch sehr unerwartetes Wiedersehen mich überaus entzückt, verehrtes Fräulein von Rheine«, setzte er hinzu.
    »Und wer genau ist entzückt?«, wollte Amalie wissen. »Jemand namens Krüger?

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