Die Fahrt des Leviathan
stieg die große Marmortreppe hinauf.
Levi führte seinen Trupp dicht an das Palais heran. Die Wachen rührten sich nicht. Weshalb sollten sie auch; es war ja nichts Verdächtiges an einer Korporalschaft Füsiliere, die über den Hauptplatz der Stadt marschierte.
Als sie unmittelbar am Eingang entlangzogen, gab Levi das Zeichen zum Losschlagen. Jählings stürzten sich seine Männer auf die Posten, entrissen ihnen die Gewehre und zerrten sie ins Innere des Gebäudes.
»Fesseln, damit sie nichts anstellen. Portal und Fenster besetzen, jeder auf seinen Posten«, befahl Levi nüchtern. Er sah zum anderen Ende des Platzes hinüber. Schon konnte er dort Yeomans Kolonne von NeitherNors ausmachen, die mit dem angeordneten Abstand nachrückten. Sein Plan ging auf. Levi überzeugte sich davon, dass alle seine Leute die ihnen zugewiesenen Positionen eingenommen hatten. Dann lief er treppauf, um schnellstens den Kronprinzen zu finden.
Die wenigen morgendlichen Passanten auf dem Prinzenplatz ergriffen angesichts der Horde Bewaffneter ausnahmslos die Flucht. Niemand wollte abwarten, um herauszufinden, wer dort eigentlich aufmarschierte und mit welcher Absicht. Blutvergießen bahnte sich an, jeder fühlte es.
»Sie haben es geschafft!«, jauchzte Yeoman und wies mit der Hand aufgeregt zum Palais Rogalski, wo Levis Männer unverkennbar Portal und Fenster des Parterres besetzt hatten. »Der Eingang ist in unseren Händen! Freunde, holen wir uns den Prinzen!«
Die NeitherNors brachen in dröhnendes Hurrageschrei aus, das über den weiten Platz hallte. Begeistert schwenkte Yeoman seinen Hut, lief voran und brüllte freudentrunken: »Vorwärts! South Carolina! South Carolina!«
Ein Schuss krachte.
Yeoman stürzte tot auf das Pflaster.
Noch immer war Amalie aufgewühlt. Doch sie hatte sich genügend gefangen, um Prinz Friedrich alles zu berichten. Alles, bis auf Alvin Healeys allerletzte Worte, die für niemanden als sie allein bestimmt gewesen waren und die sie mit keinem anderen Menschen teilen würde, so lange sie lebte. Sie schloss sie tief in sich ein, ein trauriger Schatz, der ihr zur Verwahrung anvertraut war.
Mit jedem Satz von Amalies eindringlicher Schilderung war der Kronprinz unruhiger geworden. Nun konnte er nicht mehr an sich halten. »Gütiger Gott! Kann das wahr sein?«, entfuhr es ihm ungläubig.
»Es waren die Worte eines Sterbenden«, sagte Amalie beklemmt. »Und ich bin gewiss, dass er … dass er mich nicht belogen hätte.«
Der Prinz, fassungslos und bewegt, hatte Mühe zu sprechen. »Dieses Erlebnis muss grauenvoll für Sie gewesen sein, Demoiselle. Umso mehr bin ich Ihnen zu Dank –«
Ein scharfes Krachen drang durch die Tür. Ein Schuss. Die Lehrerinnen versteinerten vor Schrecken. »Es ist zu spät«, keuchte Rebekka.
Für die Dauer eines Herzschlags herrschte unheilvoll aufgeladene Ruhe. Dann fielen weitere Schüsse. Einige ganz nah, irgendwo weiter unten im Palais. Andere hallten vom Platz herauf durch die Fenster.
Prinz Friedrich zögerte nicht. Er griff nach seinem Degen und wies die beiden Frauen an, um nichts in der Welt den Raum zu verlassen. Dann lief er zu der Tür, die direkt auf den Korridor führte, riss sie auf und stürmte hinaus. Noch auf der Schwelle kollidierte er mit jemandem, der sich gerade einzutreten angeschickt hatte. Beide gingen durch die Wucht des Zusammenstoßes beinahe zu Boden und konnten sich nur knapp auf den Beinen halten.
Überrascht starrte der Kronprinz sein Gegenüber an. Dem Mann in der schlichten Uniform eines Gaswerkinspektors war die Mütze mitsamt grauer Perücke vom Kopf gefallen. Nun zeigte er sein wahres Gesicht.
»Stieber!«, platzte Prinz Friedrich so unbeherrscht heraus, dass es wie ein angewidertes Ausspucken klang. »Was zum Kuckuck tun Sie denn hier?«
Der Angesprochene setzte an, etwas zu erwidern, doch just in diesem Moment kam David Levi herbeigerannt. Vor dem Kronprinzen machte er schlagartig halt, schlug die Hacken zusammen und meldete leicht außer Atem: »Premierleutnant Levi, 1. Karolinisches InfanterieRegiment. Eure Hoheit befindet sich in keinerlei Gefahr. Meine Männer halten die Aufrührer in sicherer Distanz.«
Prinz Friedrich zog die blonden Augenbrauen zusammen; eine wulstige Zornesfalte wölbte sich drohend auf seiner Stirn. »Ich weiß noch nicht, was hier vorgeht«, schnaubte er gereizt, »doch da Sie Ihre Finger im Spiel haben, Stieber, gehe ich davon aus, dass es sich um etwas Dreckiges handelt.«
Amalie verfolgte
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