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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Stieber? Oder wie belieben Sie sich zu nennen, sofern die Frage gestattet ist?«
    »Ich bitte um Verzeihung, dass ich vergaß, mich Ihnen vorzustellen. Gerade gegenüber zwei so ungemein charmanten Damen ist das ein unentschuldbarer Fauxpas«, entgegnete er übermäßig um einschmeichelnde Freundlichkeit bemüht. »Mein Name ist Wilhelm Stieber, ehemals Polizeidirektor beim Berliner Polizeipräsidium. Nunmehr betraut mit … sagen wir, mit besonderen Aufgaben.«
    Rebekka fixierte ihn mit einem stechenden Blick. »Waren die Geschehnisse dieses Morgens Teil solcher besonderen Aufgaben?«
    »Es wäre zutreffender, von den Geschehnissen der vergangenen Monate zu reden«, meinte Stieber sphinxhaft. Mit einem schnellen Seitenblick schaute er aus dem Fenster hinaus auf den Prinzenplatz, der inzwischen schwarz vor Menschen war. Ein unruhig wogendes Stimmengewirr drang herauf.
    »Entschuldigen Sie mich freundlicherweise, Demoiselles. Die Pflicht ruft«, bemerkte er, verbeugte sich noch einmal und entfernte sich, um zum Kronprinzen zurückzukehren.
    Rebekka sah ihm hinterher und verzog den Mund. »Ich weiß nicht, warum. Aber ich kann ihn nicht ausstehen.«
    »Ich auch nicht«, meinte Amalie mit untergründigem Ekel. Dann trank sie ihren Likör in einem Zug aus.
     
    »Ja doch, ich weiß, dass die Leute da draußen eine Erklärung erwarten«, erwiderte Prinz Friedrich echauffiert auf Stiebers Hinweis, dass es ratsam wäre, das Wort an die zusammengeströmte Menschenmenge zu richten. »Aber was soll ich ihnen sagen? Ich habe keine Erklärungen!«
    Stieber überreichte ihm einen Zettel mit einigen Zeilen in gestochen sauberer Schrift. »Ich habe mir erlaubt, diese kurze Ansprache für Eure Hoheit vorzubereiten. Und dies hier wird die Wirkung Ihrer Ausführungen höchst effektvoll steigern.«
    Er holte einen mehrfach gefalteten Papierbogen aus der Innentasche seiner Uniformjacke und öffnete ihn zu voller Größe. Es handelte sich um den Probedruck des Plakats, mit dem die NeitherNors die Übernahme der Macht in Karolina bekanntmachen wollten.
    »Oh ja, Sie denken an alles«, bestätigte der Kronprinz.
    Es lag kein Lob in seinen Worten.
     
    Als Prinz Friedrich auf den Balkon trat, verstummte die Menge nahezu schlagartig. Erwartungsschwere Stille legte sich über den Platz. Dem Thronfolger war nicht wohl in der Rolle, in die er sich gegen seinen Willen durch Stieber gedrängt wusste. Doch eine Alternative blieb ihm nicht. Er konnte seiner Pflicht nur Genüge tun, wenn er dem vor ihm liegenden Weg folgte und seine Abscheu verbarg.
    Er überflog ein letztes Mal die Sätze, die Stieber lange im Voraus für ihn formuliert hatte, und hob sodann mit volltönender Stimme an: »Männer und Frauen Karolinas! Unsere Feinde taten alles, um euch gegeneinander aufzuhetzen! Sie versuchten euch zu entzweien, um dann umso leichter dieses Land an sich reißen zu können. Über euch alle wollten sie grausames Leid bringen. Sie beabsichtigten, die Weißen aller Habe zu berauben und zu verjagen wie räudige Hunde. Die Neger aber sollten ihre Sklaven werden und sich auf ihren Plantagen zu Tode schinden!«
    Wie eine gewaltige Woge türmte sich die Empörung der Menschen in ihren wütend aufbrandenden Rufen auf. Einen Moment wartete der Kronprinz, dann mahnte er die Menge mit erhobener Hand zur Ruhe und fuhr, sobald sich der Lärm gelegt hatte, mit seiner Rede fort: »Hier ist der Beweis für ihre schändlichen Absichten! Dieser Anschlag, mit dem sie euch euer furchtbares Geschick eröffnen wollten!«
    Er entfaltete das Plakat und hielt es in die Höhe. Niemand auf dem Platz konnte erkennen, was darauf geschrieben stand, und doch war die Reaktion ein einziger zornflammender Aufschrei, der wie ein lang gezogener Donnerschlag aufstieg.
    »Und just in dieser Minute sind sie auf dem Weg hierher, um euch doch noch zu unterwerfen!«, verkündete Prinz Friedrich in einer letzten dramatischen Steigerung. »Helft ihr mir, sie aufzuhalten? Helft ihr alle mir?«
    Ein tosender Sturm aus tausenden Kehlen schlug ihm entgegen.
     
    Stieber, der unauffällig neben der offenen Tür zum Balkon stand und das Geschehen aufmerksam verfolgte, vernahm die Reaktionen der Menschenmenge mit Genugtuung. Er war sehr zufrieden mit dem Resultat seiner wohldurchdachten Formulierungen. Moltke hingegen nahm die Vorgänge nur beiläufig zur Kenntnis; er hatte sich bereits anderen Dingen zugewandt, die seinen Neigungen mehr entsprachen. Auf dem Schreibtisch waren zwei große Landkarten

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