Die Fahrt des Leviathan
ein Mulatte von recht dunkler Hautfarbe, einer von jener Sorte, die Healey daheim in Richmond auf den ersten Blick als Haussklaven eingeordnet hätte. Dass er es hierzulande bei allen Negern und Farbigen mit Freien zu tun hatte, verunsicherte ihn sehr. Er wusste nie recht, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Wenigstens beschützte ihn die deutsche Sprache davor, in die gewohnte Anrede
Boy
zu verfallen und so vielleicht in eine unangenehme Situation zu geraten.
»Habe ich die Ehre mit dem Herrn Geschäftsführer der Richmond-Handelsgesellschaft?«, erkundigte sich der Amtsdiener.
»Der bin ich«, bestätigte Healey. »Was wünschen Sie?«
»Ich bin angewiesen, Ihnen dieses Schreiben zu überbringen.«
Der Mulatte händigte Healey einen weißen Umschlag aus, legte die Hand an den Mützenschirm, wünschte einen guten Tag und wandte sich zum Gehen. Er hatte bereits die Tür geöffnet und wollte gerade auf die Straße hinaustreten, als er sich noch einmal umdrehte und sagte: »Gestatten Sie mir, Sie meines Bedauerns über den Verlust des Tabaks zu versichern.«
»Welcher Tabak?«, wunderte sich Healey, der nicht die geringste Ahnung hatte, worauf sich die Bemerkung bezog.
»Die für Ihre Gesellschaft bestimmte Lieferung, die heute Nacht auf dem Güterbahnhof von Unbekannten verbrannt wurde. Hat man Sie über diesen Zwischenfall noch nicht in Kenntnis gesetzt?«
Healey schüttelte den Kopf. Er fand es seltsam, wie wenig ihn diese Mitteilung berührte. Eigentlich, das wusste er, hätte er wütend sein müssen. Doch er empfand gar nichts, abgesehen von ein wenig Verärgerung, weil er sich nun vermutlich mit der preußischen Polizei herumschlagen musste. Doch ansonsten war ihm alles gleichgültig.
»Verbrannt also«, meinte er nur. »Sie sagen das so, als würden hier tagtäglich Handelswaren angezündet.«
»Nicht gerade täglich. Aber es geschieht öfters. Meist trifft es eingeschmuggelte Baumwolle, doch gelegentlich auch gerade eingetroffene Lieferungen für Ihre Firma. Sie gestatten, dass ich mich nun empfehle?«
Der Amtsdiener ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Healey drehte abwesend den Umschlag zwischen den Fingern und blickte mit unschlüssig gerunzelter Stirn ins Leere.
Man mag uns hier wohl nicht besonders,
dachte er.
Dann erinnerte er sich daran, dass er ja ein vermutlich recht wichtiges amtliches Schreiben erhalten hatte. Er öffnete das Kuvert und zog eine mit goldenen Rändern verzierte Karte hervor, deren Kopf das preußische Wappen zierte. Darunter stand in feierlich verschnörkelten Frakturbuchstaben, dass der Herr Oberpräsident sich beehrte, Herrn Oswald Jackson Miller zum Ball Seiner Majestät König Wilhelms am 26. Oktober einzuladen.
Healey stutzte. Dass Miller eine so bedeutende Persönlichkeit gewesen war, erstaunte ihn ebenso sehr wie die Tatsache, dass offensichtlich niemand sein Dahinscheiden bemerkt hatte. Für einen Moment war er nicht sicher, was er mit dieser Einladung anfangen sollte. Dann aber kam er zu dem Schluss, dass er als Millers Nachfolger nun auch seine gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrzunehmen hatte. Natürlich behagte ihm die Vorstellung wenig, ausgerechnet vor dem König des Landes, das ein Stück Amerika gestohlen hatte, einen Bückling zu machen. Aber daran führte kein Weg vorbei, wenn er seine Aufgabe pflichtgemäß erfüllen wollte.
Healey holte das Friedrichsburger Adressbuch hervor. Er besaß keinen Frack und musste schnellstens herausfinden, wo er einen leihen konnte.
* * *
Pfeyfer wurde das Gefühl nicht los, dass ihm jemand folgte. Doch wann immer er sich umdrehte, konnte er keine verdächtige Gestalt unter den Passanten entdecken. Nachdem er zum dritten Mal stehen geblieben war und ergebnislos hinter sich geblickt hatte, tat er seine Ahnung als bloße Einbildung ab.
Ich brauche wohl dringend Erholung,
dachte er und nahm sich vor, gleich nach der Abreise des Königs um eine Woche Urlaub zu ersuchen.
Pfeyfer setzte seinen Weg fort, ohne sich nochmals umzuschauen. Er ging die belebte Hohenzollern-Allee hinab bis zum Restaurant Printz, in dem die Offiziere der Friedrichsburger Garnison bevorzugt ihr Mittagessen einnahmen.
Als er eintrat, nahm ihn sogleich der Oberkellner in Empfang und geleitete ihn zu seinem üblichen Tisch im ruhigen rückwärtigen Teil des Saals. Pfeyfer setzte sich und bestellte, ohne die Karte zu konsultieren, wie an jedem Freitag Tomatensuppe, Rindergulasch sowie den Hauswein.
Dienstbeflissen nahm
Weitere Kostenlose Bücher