Die Fahrt des Leviathan
gesiegt.
Ebenfalls wie immer war Hauptmann Friedrich Heinze, Pfeyfers Stellvertreter, bereits anwesend. Sein Dienst begann früher, weil es zu seinen Aufgaben gehörte, die am Morgen neu eingegangenen Depeschen und Akten nach Dringlichkeit und Inhalt zu ordnen, ehe sein Vorgesetzter eintraf. Damit war er mittlerweile fertig und genehmigte sich nun an seinem Schreibtisch, der als Ausdruck der militärischen Hierarchie etwas kleiner war als der des Majors, einen Kaffee.
»Guten Morgen, Willi«, begrüßte er Pfeyfer in zwanglosem Tonfall.
»Morgen, Fritz«, antwortete der übernächtigte Major matt und hängte seine Schirmmütze an den Kleiderständer. »Frag mich jetzt bloß nicht, wie die Reise war.«
Heinze rührte einen Teelöffel Zucker in seinen dampfenden Kaffee ein. »Wozu fragen? Du wirst es mir sowieso gleich erzählen, weil du dich gewaltig ärgerst. Das sehe ich dir doch an. Oder sollte ich mich da irren?«
»Du kennst mich einfach viel zu gut«, meinte Pfeyfer amüsiert. »Demnächst weißt du vermutlich sogar noch vor mir, was ich denke.«
Überrascht hätte es ihn nicht. Immerhin waren sie schon seit der Schulzeit befreundet und hatten sogar gemeinsam die Offiziersausbildung an der Kriegsschule absolviert.
Dass der stets etwas blässliche, untersetzte Heinze, dessen hellblondes Haar bereits früh an der Stirn zurückgewichen war, bei den Beförderungen ein ums andere Mal hinter ihm hatte zurückstehen müssen, empfand Pfeyfer als Ungerechtigkeit; doch es hatte nichts daran ändern können, dass sie enge Freunde waren und blieben.
Und für Pfeyfer, der Freundschaften selten und niemals leichtfertig schloss, bedeutete das viel.
»Ich habe jedenfalls allen Grund, verärgert zu sein«, sagte der Major. Er nahm sein Degenkoppel ab, hängte es zur Mütze und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. In schneller Folge überflog er die bereitliegenden Dokumente und schilderte dabei Heinze, wie er die vergangenen Tage zugebracht hatte.
»Alles nur, weil sich dieser Lenschow das Hirngespinst mit dem Attentat in den Kopf gesetzt hat«, resümierte er mürrisch. »Wegen dieses Idioten hast du hier die ganze Zeit die Stellung alleine halten müssen. Und das gerade jetzt, wo wir bis zum Hals in Arbeit stecken.«
»Ich hab’s ja überlebt, Willi. Soll die Ordonnanz dir auch einen Kaffee bringen? Wurde gerade frisch aufgebrüht.«
Müde rieb Pfeyfer seine Augen. »Später gerne. Jetzt muss ich erst einmal schauen, was während meiner Abwesenheit vorgefallen ist. Gab es nennenswerte Vorkommnisse?«
Heinze nahm noch einen Schluck Kaffee, stellte dann die Tasse beiseite und beugte sich auf die verschränkten Arme gestützt über den Tisch. »Das kann man wohl sagen. Du erinnerst dich an den letzten anonymen Brief, den du knapp vor der Abreise erhalten hast?«
Pfeyfer ließ das Schriftstück, das er gerade in der Hand hielt, augenblicklich sinken. Die Erwähnung des Briefes hatte ihn aufmerken lassen, seine Müdigkeit war urplötzlich wie fortgeblasen.
Die anonymen Schreiben stellten Pfeyfer vor ein Rätsel. Seit dem Sommer erhielt er in unregelmäßigen Abständen Briefe ohne Absender, die ausdrücklich an ihn adressiert waren. Jedes Mal informierte ihn der unbekannte Verfasser über unmittelbar bevorstehende Versuche der südstaatlichen Rebellen und ihrer karolinischen Parteigänger, Unruhe zu stiften. Denn die Konföderierten waren sich durchaus der wirtschaftlichen Misere und der wachsenden Unzufriedenheit in der Provinz bewusst und versuchten unablässig, zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Sie hätten es nur zu gerne gesehen, wenn Karolina sich von Preußen losgesagt und den Konföderierten Staaten angeschlossen hätte, so wie die Bevölkerung des Fürstentums Neuchâtel einige Jahre zuvor den preußischen Gouverneur vertrieben und das Land zum Kanton der Schweizer Eidgenossenschaft erklärt hatte.
Kein Mittel war diesen Leuten aus den Südstaaten zu niederträchtig, um das Volk aufzuwiegeln. Pfeyfer gab sich auch keinen Illusionen darüber hin, dass sie sich auf willige Verbündete in Karolina stützen konnten. Unter den Nachkommen der englischen Kolonisten gab es manche, die sich nie mit der preußischen Herrschaft abgefunden hatten und den schwarzen Adler nur zu gerne im Staub gesehen hätten. Der Feind stand nicht nur vor den Toren. Er befand sich auch im eigenen Lager, unerkannt und jederzeit bereit, hinterhältig Schaden anzurichten.
Das Militär-Sicherheits-Detachement war nicht zuletzt
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