Die Fahrt nach Feuerland
weiter?«
»Ja.«
»Du bist um Grade verrückter als ich!«
»Ich würde auch mit Helena allein die Umseglung wagen.«
»Ein Selbstmord auf Raten.«
»Das ist mein Problem.«
»Ich glaube wirklich«, sagte Trosky und erhob sich, »Helden der Sinnlosigkeit wie dich muß man opfern! Ich weiß, was du denkst. Du willst auf dieser Fahrt ausprobieren, wie weit die Belastbarkeit des Menschen geht! Die Antwort kannst du schon jetzt haben: Bis man dir den Schädel eingeschlagen hat!«
Er ging unter Deck, legte sich in seine Koje und stopfte sich Watte in die Ohren, weil Helenas Plattenspieler noch immer dudelte. Aber als er hinter sich die Tür zuwarf, stellte sie ihn ab, doch das nahm Trosky mit seinen Wattepfropfen schon nicht mehr wahr.
Vier Stunden später, pünktlich wie immer, stand er wieder in der Plicht, um Losskow abzulösen. Obwohl sie abseits des viel befahrenen Seeweges fuhren, hatten sie beschlossen, nachts das Boot nicht einfach treiben zu lassen.
»Ich glaube, Blondie hat geweint!« sagte Trosky rauh.
»Wieso?« Losskow blickte auf das ruhige Meer. »Helena und weinen? Warum?«
»Sie schläft, den widerlichen Köter am Rücken. Aber ihr Gesicht ist naß.«
»Deinetwegen!« sagte Losskow kurz.
»Aha! Warum spreche ich Idiot überhaupt darüber? Ich hätte es mir denken können. Immer dieser Trosky!«
»Sie hätte sonst keinen Grund zu weinen.«
»Vielleicht hat sie Angst? Helena ist ein kluges Mädchen. São Tiago ist die letzte Station vor der großen Einsamkeit. Bis Brasilien muß sie in der Hölle leben.«
»Ihr könnt alle von Bord gehen!« sagte Losskow leise. »Alle! Ich schaffe es auch allein! Vielleicht sogar am besten und sichersten. Küßt die Erde, wenn ihr sie unter den Füßen habt, und verlaßt sie nicht mehr!«
Trosky wartete, bis Losskow unter Deck war, dann setzte er das Genua II zusätzlich zum Fock, drehte den Kurs etwas nach Südost und machte es sich auf der Bank bequem.
Ich werde mir auf São Tiago ein Schachspiel kaufen, dachte er. Oder – noch besser – Bogen und Pfeile und eine Rundscheibe. Natürlich bleibe ich an Bord. Man kann Peer doch nicht allein lassen. Soll man von mir sagen, ich sei ein Feigling?!
Das würde ich nicht ertragen.
Während Dieter Randler, von Senegal kommend, mit der kleinen Sportmaschine auf dem Flugplatz von Sal wartete und täglich mehrmals über dem Meer kreiste und nach Losskow Ausschau hielt, fuhr die Helu an einem strahlenden Morgen langsam in den Hafen von Tarrafal im Norden der Insel São Tiago ein.
Sie standen alle an Deck, hatten die Segel voll gesetzt, denn der Wind war äußerst leicht, und blickten hinüber auf das letzte Stückchen Land vor der großen Wasserweite, die sie bezwingen wollten. Es war kein erfreulicher Anblick. Die Insel war karg, braungelb verbrannt, hügelig, vom Wetter ausgelaugt. Ein Erdenfleck im weiten Meer, einstmals reich an Bodenfrüchten, jetzt ausgetrocknet, verarmt, ein Inselstaat, zu elend, um ohne Hilfe zu existieren, und doch zu wichtig als Horchposten zwischen Afrika und Amerika, um ihn aufzugeben. Die Anwesenheit amerikanischer und sowjetischer Schiffe im Hafen von Praia bewies das jeden Tag. Sie kreuzten hier als Fangmutterschiffe herum und waren in Wahrheit mit Elektronik vollgestopft, um den Äther nach neuen und unbekannten Funkimpulsen abzuhören. Vor allem die Bewegungen der U-Boote im Atlantik wurden von ihnen überwacht; die feinsten Sonargeräte tasteten den Meeresboden nach dem unsichtbaren Gegner ab.
In Tarrafal war von alldem nichts zu spüren. Das kleine Städtchen lag wie verlassen unter der Sonne, ein paar alte Kähne tuckerten herum, die Hafenmeisterei nahm von dem Segelboot keine Notiz, die Häuser sahen aus, als habe man vergessen, sie fertigzubauen, die Hafenmole zerbröckelte an manchen Stellen. Ein trostloser Anblick.
»Wer hier lebt, begreift vielleicht den Sinn seines Lebens!« sagte Trosky sarkastisch. »Aber trotz aller guten Absichten: Hier lass' ich mich nicht an Land setzen!«
»Ein paar Kilometer weiter liegt Praia, die Hauptstadt. Und die Nebeninsel Sal hat sogar einen internationalen Flughafen.« Losskow ließ das Boot in den kleinen Hafen laufen und steuerte einen Steg an, dessen verfaulte Stützen und Planken bewiesen, daß er nicht mehr benutzt wurde. Die Fischerboote lagen nebeneinander hinter der Mole an einem schmalen Kai. Buntbemalte Rümpfe, Lackfarben, die das Alter gnädig überdeckten.
Im Hafen lungerten ein paar Männer herum und starrten die
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