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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Patrioten gehörte, die deutsche Soldaten jagten wie Hasen!«
    »Jetzt weiß ich es!« sagte Losskow rauh. »Und nun halte die Schnauze!«
    »Im Gegenteil, ich fange erst an!«
    »Du lieber Himmel, willst du hier auf dem Atlantik diesen ganzen verfluchten Mist wieder aufrühren?! Das ist dreißig Jahre her! Wir waren damals beide noch nicht geboren! Wir gehören der Generation an, die diese Zeit überhaupt nicht mehr verstehen kann! Was soll also der Quatsch!«
    »Mein Vater wohnte damals etwas außerhalb von Prag«, fuhr Trosky unbeirrt fort. »In einer der Vorstädte. Meine Mutter war hochschwanger, mit mir. Seit Monaten versteckte er sie vor den deutschen Soldaten. Meine Mutter war eine sehr schöne Frau. Viermal drangen die Deutschen beim Rückzug in unser Haus ein. Mein Vater bediente sie mit Brot und Bier und erschoß sie dann auf den Stühlen. Dabei half ihm sein Nachbar. Der war vierundachtzig Jahre alt, humpelte am Stock, aber einen Revolver konnte er noch abdrücken. Meine Mutter hockte in einem Verschlag unter dem Dach, von Todesangst geschüttelt, und immer, wenn sie die Schüsse hörte, betete sie, die Hände über dem dicken Bauch gefaltet. Nach einer Woche lagen bei uns im Keller vierzehn tote Deutsche.« Trosky sah Losskow mit flimmernden Augen an. »Das hast du alles gewußt, als du mich in die Crew nahmst! Das hast du alles in Prag erfahren. Und du hast dir gesagt: Warte nur ab, Jan Trosky! Das zahle ich dir heim! Sippenhaft ist ja eine gute deutsche Einrichtung! Laß uns erst allein sein! – Hast du geglaubt, ich merke das nicht?«
    »Leg dich schlafen!« sagte Losskow gepreßt. »Über so viel Idiotie diskutiere ich nicht. Unsere Väter! Weiß ich, was mein Vater damals getan hat?«
    »Er war Offizier?«
    »Ja.«
    »Du hast ihn nie gefragt?«
    »Manchmal. Dann sagte er: Schwamm drüber!«
    »Ein einfaches Verfahren, die Vergangenheit zu vergessen. Mein Vater hat die vierzehn toten Deutschen nie vergessen! Er wurde als Held gefeiert, bekam einen Orden. Aber er konnte nie mehr richtig lachen. ›Ich habe es wegen deiner Mutter getan‹, sagte er zu mir. ›Ich hatte Angst um sie. Nur deshalb! Angst! Weißt du, was richtige Angst ist? Eure Generation wird diese Angst nie lernen und deshalb auch nie begreifen!‹ – Ich habe später lange darüber nachgedacht, vor allem in diesen Wochen, als ich merkte, daß du mich haßt! Aber vor dir habe ich keine Angst!«
    »Du redest völlig irr!« sagte Losskow. Er setzte sich hinter das Ruder, blickte auf den Kreiselkompaß und sah, daß sie den Kurs hielten. Das Glutmeer verblaßte, die Sonne war versunken, das Wasser schimmerte violett, der Himmel wurde in orangene Streifen zerschnitten. Aus dem Salon zog Bratenduft an Deck. Helena hatte eine Schweinelende spendiert. Daran erkannte man, daß heute Sonntag war. »Freu dich auf den Braten und halt endlich die Klappe!«
    Trosky knurrte etwas Unverständliches, ging an Losskow vorbei und verschwand nach unten. Wenig später kam Helena an Deck und strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn.
    »Was ist los mit ihm?« fragte sie. »Kommt an den Herd, guckt in den Backofen, schnuppert und bellt mich an: ›Freßt euren Dreck alleine!‹ Und geht in seine Koje!«
    »Er hat wieder seinen Durchdrehtag. Diesmal politisch eingefärbt.«
    »Auch das noch!«
    »Jetzt bin ich der häßlichste Deutsche mit der unbewältigten Vergangenheit.«
    »Ihm fällt immer was Neues ein. Wann bist du Frankensteins Sohn?«
    »Schon vorbei!« Er beugte sich vor, gab Helena einen Kuß und hörte erst jetzt Musik aus der Kajüte nach oben dringen. »Was ist das?«
    »Beethoven. Die Pastorale. Zweiter Satz.«
    Unter ihren Füßen rumorte es plötzlich. Da lag die Eigner-Koje, und Trosky hämmerte mit einem Gegenstand gegen die Decke.
    »Das gilt Beethoven«, sagte Helena ruhig. »Die nächste Platte ist dann für ihn. Böhmische Polka.«
    Aber dazu kam es nicht mehr. Trosky rannte die Treppe empor an Deck, nur mit einer kleinen Dreiecksbadehose bekleidet. Über seinem muskulösen Körper lag eine dünne, glänzende Schweißschicht. Der Blick seiner Augen hatte etwas Irres, unstet, flackernd, hervorquellend.
    »Wißt ihr, was ein Lustmord ist?!« schrie er, noch ehe Helena ein Wort sagen konnte. »Ich wußte es bis heute nicht! Aber jetzt begreife ich, daß einem der Speichel vor Wonne aus den Mundwinkeln tropft, wenn man vernichtet! Ich werde jetzt morden! Ich werde dieses plärrende, widerwärtige Ding umbringen! Ich werde

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