Die Falken und das Glück - Roman
befestigte ihn mit einer Klammer, wischte den überflüssigen Leim weg. Er legte den reparierten Schuh auf den Tisch.
Der muss bis morgen trocknen, sagte er und setzte abermals Teewasser auf.
Draußen hatte der nächste Schauer eingesetzt. Der Regen trommelte auf das Dach, Wasser rann an den Scheiben herunter. Linda hatte es sich bequem gemacht auf der Holzbank, sie sah sich um. Die Küche war akkurat aufgeräumt. Gewürze standen auf einem Brett. Pfannen und Geräte hingen nach Größe sortiert an der Küchenwand. Äpfel und Orangen türmten sich in einer Schale. Am Fenster wuchs ein Kaktus.
Linda sah Daniel zu, wie er Dinge hin und her rückte. Minutenlang beschäftigte er sich mit den Gläsern, schob sie hierhin und dorthin, reihte sie regelmäßig auf und dann wieder versetzt.
Sie fragte sich, ob er verlegen war. Daniel setzte das Gläserrücken fort.
Der Leim kann auch alleine trocknen, sagte sie nach einer Weile, ich gehe barfuß zurück.
Sie erhob sich. Pharao kam einen Schritt näher, lauerte zu ihren Füßen.
Bleib!, rief Daniel.
Ich muss schlafen, sagte sie und setzte sich doch wieder an den Küchentisch.
Endlich kochte das Teewasser.
Willst du gleich bei mir einziehen?
Daniel deutete auf die große Tasche, die Linda neben sich auf die Holzbank gesetzt hatte, als handle es sich um ein lebendiges Wesen. Sie fragte sich selber, warum sie das dreihundert Seiten dicke Manuskript von Maude Brioche-Boudin in den Urlaub mitgenommen hatte. Zu gut wusste sie, dass sie keine Lust haben würde, daran zu arbeiten. Sie konnte es sich nur mit ihrem schlechten Gewissen erklären. In den drei Jahren seit dem Abbruch ihres Sprachstudiums hatte sie Werbetexte, Jubiläumsschriften und Broschüren aus dem Französischen ins Deutsche übertragen. Das Buch von Maude Brioche-Boudin war ihr erster literarischer Auftrag. Sie war stolz gewesen, endlich einen Roman übersetzen zu dürfen, hatte den unterschriebenen Vertrag postwendend an den Kleinverlag zurückgeschickt, ohne auch nur das erste Kapitel gelesen zu haben. Dass er nicht einfach zu übersetzen sein würde, hatte sie erwartet, war Maude Brioche-Boudin doch eine renommierte Westschweizer Autorin. Die Schwierigkeiten begannen beim Titel, der auf Französisch l ’ écuelle lautete. Unter l’écuelle kannte Lindas Wörterbuch nur einen Eintrag: Napf.
Der Napf, Napf, ein Napf, hatte sie vor sich hingemurmelt. Die Leser würden an den gleichnamigen Berg im Emmental denken. Linda suchte nach Assoziationen, wobei ihr nur Fettnäpfchen in den Sinn kam. Wochenlang hatte sie über dem Titel gebrütet. Irgendetwas Brauchbares musste ihr doch einfallen, wenn sie sich nur genug anstrengte.
Linda legte das Typoskript auf den Tisch und stellte ihre Tasche weg. Daniel setzte sich zu ihr auf die Holzbank. Sie zeigte ihm einen Stapel Titelblätter. Mal hatte sie den Namen der Autorin unter, mal über den Buchtitel gesetzt. Sie hatte den Namen des Verlages größer, dann wieder kleiner gemacht. Stets hatte sie ihren eigenen Namen darunter gefügt: Übersetzung Linda Gfeller. Was ihr an dem Projekt wirklich gefiel, war ihr eigener Name auf dem Buchtitel.
Wer braucht schon Geschichten?, raunzte Daniel. Mich interessiert die Realität!
Sie wollte sich entschuldigen, es fehlten ihr die Worte.
Hilf mir besser bei meiner Arbeit!
Es klang wie ein Befehl. Sie wollte einwenden, wie viel es ihr bedeute, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Sie wollte ihm gestehen, dass sie davon träumte, selber einen Roman zu verfassen. Sie wollte ihm vorrechnen, wie viele Wochen sie an dem Projekt gesessen hatte. Stattdessen schluckte sie leer. Was Daniel sagte, leuchtete ihr ein. Sie verschwendete ihr Leben mit Unwichtigem.
Er gab ihr die Titelblätter zurück, murmelte etwas, das in ihren Ohren wie Fressnapf klang. Als sie ihn fragend ansah, fügte er noch Hundenapf hinzu.
Gib mir mal das Original! Und besorg uns was zu essen!
Daniel begann in den Druckfahnen zu lesen. Linda ging zum Laden ins Dorf hinunter.
Ich bin die Übersetzerin des Fressnapfes, sie sagte es laut vor sich hin, übersetzte auch noch den Namen der Autorin, Hefebrötchen-Blutwurst, es war hoffnungslos.
Linda kaufte aufgebackene Baguettes und Butter und Schinken und Tomaten. So ordentlich Daniel war, er hatte außer Tee und ein paar Früchten nichts im Haus.
Linda machte sich in der Küche zu schaffen, schmierte Brote und bereitete einen kleinen Lunch. Sie stellte Salz und Pfeffer auf ein Tablett, Gläser, einen Krug
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