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Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reber Sabine
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strich Linda eine Haarsträhne hinters Ohr, küsste ihre Stirn.
    Linda schlug die Augen auf, als käme sie von weit her, sie murmelte etwas vom Paradies, das in Mesopotamien lag und wo die Bäume in den Himmel wüchsen und Blüten aus Milchglas trügen.
    Daniel begriff, dass sie auf die Landkarte anspielte, die er gegenüber der Couch an die Wand gehängt hatte. Linda erzählte ihm vom Gewicht der gefrorenen Tränen. Er stand auf und zog eine verbeulte Schachtel aus der Schublade, zupfte zerknüllte Zeitungen heraus und zeigte ihr einen Armleuchter, der mit milchig trüben Glaskristallen behängt war. Sie sahen genauso aus wie die Blüten in Lindas Traum.
    Sie schwieg.
    Seit ihr Vater gestorben war, träumte sie von gefrorenen Tränen. Das Haus hatte verkauft werden müssen. Die Rosskastanie blühte fortan für eine andere Familie, deren Kinder im Sommer im Schatten ihrer Äste lagen, im Herbst aus den Kastanien Tiere bastelten.
    Darf ich dir zusehen, wie du dich anziehst?, fragte Daniel.
    Mit seinen Bärenaugen fixierte er jede Bewegung, vermaß ihren Körper, als kartographierte er sie. Sie spürte seinen dunklen Blick, wie er jeden Quadratzentimeter ihrer Haut vermaß, über die Hüften, den Bauch, die Brüste wanderte.
    70 C, sagte er, das wusste ich doch.
    Sie sah ihn fragend an.
    Genau hinsehen, sagte er, das ist mein Job als Restaurator und Altertumswissenschaftler, mir entgeht nicht das geringste Detail.
    Ich bin aber noch lange nicht antiquarisch, protestierte Linda, ich bin eben erst 24 geworden!
    Ich hätte dich auf mindestens 25 geschätzt.
    Du bist doch schon 50 gewesen, entgegnete sie.
    Er sah sie empört an, lachte dann. So verstaubt bin ich nicht! Ich werde nächstes Jahr 40.
    Dann machen wir ein großes Fest!, sagte Linda.
    Nein, sagte er, den Tag werde ich mit dir allein verbringen. Du bist das wertvollste Stück meiner Sammlung. Dich werde ich um keinen Preis mehr hergeben.
    Ich wusste nicht, dass du Frauen sammelst!
    Linda versuchte sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.
    Ich sammle Erinnerungen, beruhigte er sie. Und ich sammle Wäsche. Dein BH hier, der ist nicht gerade ein Museumsstück. Würdest du für mich was Schönes anziehen? Echte Seidenspitze? Und Strümpfe mit Nähten? Und dann die Schuhe von vorhin? Würdest du mir den Gefallen tun?
    Ich glaube nicht an Vorhersehung, sagte Daniel und schlüpfte in seine Hose. Aber du bist mir nicht zufällig über den Weg gelaufen. Hast du schon lange nach mir gesucht?
    Linda schwieg.
    Warum bist du auf die Insel gekommen?
    Wegen dir, antwortete sie.
    Ich muss das wissen, insistierte er.
    Weil ich Inseln mag, sagte sie, ich wollte schon immer auf einer Insel leben.
    Also bist du nicht meinetwegen gekommen.
    Ich war auf den Turm geklettert, weil mir jemand gesagt hatte, dort lebten Falken. Meine Wanderschuhe waren danach so nass, dass ich die eleganten Schuhe anziehen musste.
    Daniel sah sie eindringlich an, er schwieg.
    Wer hat das schon alles getragen vor mir?
    Keine! Auf dich hab ich doch die ganze Zeit gewartet.
    Sie liebten sich noch einmal, nun langsamer. Seine Hände glitten über die Strümpfe, über die Seidenspitzen. Alles war neu und aufregend.
    Das ist tausend Mal schöner, als ich es mir vorgestellt hatte, sagte er.
    Er streifte ihr die Schuhe von den Füßen, küsste durch das knisternde Nylon ihre Zehen. Linda genoss die Bewunderung. Sie fand mit Leichtigkeit in ihre neue Rolle, sie mochte schöne Sachen. Ihre Hände wanderten, ihre Fingerkuppen tasteten, sie nahmen sich Zeit. Alles geschah wie noch niemals zuvor und vollkommen unschuldig, ihre Empfindungen waren von einer fast schmerzhaften Reinheit. Und doch kam es ihnen vor, als würden sich ihre Körper ewig kennen. Sie sprachen nichts, es fehlten ihnen die Worte für ihren Zustand. Ihre Zungen jedoch, ihre Handflächen, ihre Geschlechter fanden von selbst zueinander.
    Reif für die Insel?, wollte Daniel beim Frühstück wissen.
    Linda sah ihn fragend an.
    Ich suche eine Mitarbeiterin.
    Aber ich kenne dich kaum!
    Ich kenne dich seit jeher, antwortete er.
    Wie lange dauert der Job?
    Ein, zwei Jahre, wir werden sehen.
    Und danach?
    Es gibt immer ein nächstes Projekt. Bleibst du?
    Sie zögerte. Murmelte etwas von einem eigenen Standbein behalten und nicht gleich alles aufgeben.
    Diese Übersetzung ist grauenhaft!, rief er. Steh auf deinen eigenen Beinen, mach etwas aus deinem Leben! Wir werden zusammen Forschungsberichte publizieren, wir werden auf Vortragsreisen gehen, wir

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