Die Fallen von Ibex
Kerl hat beide Bogen, denk daran.” „Mhmmm.
Mir ist nicht gerade nach Bewegung zumute.” „Das sehe ich.”
„Ha!” Stöhnend und mit übertriebener Vorsicht erhob sich Aleytys schließlich doch. Einen Moment lang blieb sie neben Shadith stehen, drehte sich langsam im Kreis; ein leichtes Stirnrunzeln zog ihre Brauen zusammen. Dann schüttelte sie die Träumerei endgültig ab, nahm den Gürtel und legte ihn an. „Linfy kommt”, stellte sie fest. „Er bringt uns sechs Vögel. Du hast recht - Zeit, daß ich was tue.”
3
Sie folgten der Straße, die dem Fluß nach Norden folgte; sie ritten unter gewaltig großen, alten Flußeichen und kleineren, undefinierbareren Bäumen, vorbei an niedrig wachsenden Brombeergestrüppen, die weit auf die Straße heraus vordrangen; manchmal so weit, daß die Gyori einen kurvenreichen Tanz aufführen mußten, um unversehrt daran vorbeizukommen. Die Sträucher waren dicht behängt mit kleinen, süßen, bläulich-roten Beeren, eine sehr willkommene Ergänzung ihres Speisezettels, der hauptsächlich Fische, Vögel und kleinere Säugetiere präsentierte.
Sie brachen spät auf und machten früh halt, da sie gezwungen waren, von dem zu leben, was ihnen dieses Land bot. Linfyar wurde ein wahrer Meister im Betäuben der Tiere, die den Boden unter den Bäumen zu bedecken schienen, kleine Pelztiere verschiedener Arten, die sie auf improvisierten Spießen brieten. Obgleich sie nicht unter Zeitdruck standen, und obgleich auch die Verpflegung kein Problem darstellte, fühlte sich Aleytys doch unbehaglich, und ihre Stimmung blieb während des ganzen Rittes überwiegend bedrückt. Es war die Leere dieses Landes, die ihr zu schaffen machte. Es gab mehr als genug Leben hier, gesundes Leben, das nur wenig von jener bleibenden Vergiftung des anderen Kontinents aufwies, doch der Mensch fehlte hier gänzlich. Die sie umgebende Landschaft konnte als jungfräuliche Wildnis durchgehen; jedenfalls, wenn man von jener Straße absah, der sie folgten, und jenen anderen, die hiervon abzweigten. Es kam ihr seltsam und unnatürlich vor, doch unspürbar begann sie in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Sie ritten über dieses Land, als gehöre es ihnen; selbst Shadith machte hier keine Ausnahme, obwohl sie immer wieder davor warnte, daß sich Wakille hier herumtrieb und möglicherweise bereits in einem Hinterhalt auf sie wartete. An den ersten beiden Tagen übernahm sie in kurzen Abständen immer wieder Vögel. Geistreiter. Sie ließ sich von ihnen emportragen, zwang sie, über der Straße zu kreisen, der Straße zu folgen -allgegenwärtig auf der Suche nach dem kleinen Mann. Doch sie fand nicht die winzigste Spur von ihm; das machte sie wirklich nervös - sie versuchte sich vorzustellen, wohin er sich gewandt haben mochte, und weshalb sie keine Witterung von ihm bekommen konnte. Doch am Nachmittag des dritten Tages machte es ihr nichts mehr aus. Die Ruhe des Landes hatte sich ihrer bemächtigt, und sie fügte sich ein in das Gefühl der Leere ringsumher, das ihnen allen zumindest die Illusion von Sicherheit vermittelte.
Wakille war in weiter Ferne verschwunden, zu verängstigt, um sich in ihre Nähe zu wagen. Aleytys spürte ein Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern, das sie davor warnte, dies zu glauben, doch es war schwer, sich an Gefahren zu erinnern; und je länger die ruhigen Tage andauerten, abgesehen von der zunehmenden morgendlichen Kälte und dem Geruch des Herbstes in der Luft, desto schwerer wurde es. Doch sooft sie bewußt an Wakille dachte, spürte sie die Besorgnis. Bisher hatte Wolff sie geschützt; Wolff und davor ihr Verschwinden in der Weite des Raumes. Mittlerweile war sie viel zu gut bekannt, als daß dies noch genügen würde. Sie begann zu ahnen, daß Wakille nur der erste war, auf den sie jetzt sehr gewissenhaft achtgeben mußte. Andere waren ebenfalls hinter dem Diadem her, zäher, als Wakille je sein konnte. Sie preßte die Lippen zusammen und starrte finster auf die spielenden Lauscher ihres Gyrs hinab. Vrithian. Ihre Zuflucht? Sie lachte laut auf, wollte sich aber nicht erklären, als Shadith sie fragte, was denn so komisch sei. Zuflucht. Alles, was sie bisher über die Vrya erfahren hatte, ließ Vrithian ganz nach jener Art von Zuflucht aussehen, die die Spinne einer Fliege anbot. Sie waren speziell hinter den Dingen wie dem Diadem her, ihre Vryhh-Verwandten. Und wenn sie sich nicht ganz gewaltig in ihnen täuschte, dann würden sie die Schlimmsten sein, mit denen sie es
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