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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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übermütige Wesen kannte sie nicht. Sie verdrängte diesen Gedanken.
    Weitere Pfiffe schrillten jetzt beinahe ununterbrochen. Sie erklommen die Böschung. Die Insel war nahe, alarmierend nahe. Ein lang anhaltendes Trillern. Aleytys’ Hände fuhren hoch, preßten sich gegen die Schläfen. Der Übersetzer in ihrem Kopf aktivierte sich in einem blendenden Schmerz. Sie riß ihren Geistfühler aus dem Falken los, schüttelte die Schmerzen ab und war sich vage bewußt, daß Shadith ihre Stelle eingenommen hatte. Halb in Trance dirigierte sie das Gyr in das nächstfolgende Bachbett hinab, in die nächste Falte im Antlitz des Berges, und riß sich energisch zusammen. „Sie verständigen sich mit diesen Pfiffen, dieses letzte Trillern war eindeutig.” Sie nickte dem Vogel zu. „Danke.”
    „Hab’ die Symptome erkannt. Lieber du als ich, obwohl es ganz gelegen kommt, nehme ich an. Was reden sie?”
    Sie erklommen die nächste Böschung und tauchten gleich darauf abermals in eine Erdverwerfung hinab. „Sie verstehen nicht, was sie sehen.” Aleytys runzelte die Stirn. „Sie haben dich wiedererkannt; deinen Körper. Der Geistreiter des Falken. Es wurde weitergemeldet. Ich, ich bin der Feind. Fremde. Obwohl sie es höchst verwunderlich finden, daß ich eine Frau und allein bin.
    Eine Fremde hier im Tal, das macht sie ziemlich nervös. Von Nächstenliebe halten sie in dieser Gegend nicht gerade viel. Du müßtest mein Feind sein. Du brichst die Regeln. Du müßtest versuchen, mich zu töten, statt an meiner Seite zu reiten. Sie schicken noch mehr Falken aus, suchen nach eventuellen Komplizen von mir, die sich in den Hinterhalt gelegt haben, die sie überfallen wollen, während wir sie ablenken. Die Falkenmeisterin hat gemeldet, daß du weder gefesselt noch anderweitig gebannt bist, und das macht jetzt die Runde, sieht ganz so aus, als seien sie jetzt alle in diesen Bäumen.” Aleytys schüttelte den Kopf. „Es hat nicht viel Sinn, weiter zu lauschen. Es wiederholt sich.”
    Shadith streichelte den Falken, ließ ihn sich an ihrem Finger reiben; der Schnabel zuckte vor, packte beinahe sanft zu, hielt ihn fest, als wolle er das vertraute Fleisch kosten und Trost darin finden, dann gab er ihn wieder frei, wandte den Kopf nach vorn und setzte sich bequemer auf der Stange zurecht. Im Gleichtakt mit dem Gyr-Rücken schaukelte er leicht hin und her. Shadith blickte ihn forschend an. „Er ist durcheinander”, erklärte sie. „Er spürt die Feindseligkeit, die ihm von der Insel her entgegenschlägt, und er versteht es nicht.”
    „Gib ihn frei, wenn es zu schlimm wird.”
    „Vielleicht”, erwiderte Shadith grollend. Ein trotziger, fast zorniger Blick schimmerte in ihren Augen.
    Sie trieben die Gyori an, erklommen Erdverwerfungen und hasteten in schroffe Furchen hinab, immer wieder; sie versuchten, so viel Abstand wie nur irgend möglich zwischen sich und die Insel zu bringen, deshalb hielten sie sich strikt geradeaus, bergauf, nur um vom nächsten Erdwulst, von der nächsten Windung oder einem tiefen Spalt im Berghang wieder hinabgedrängt zu werden. Hinauf.
    Hinüber. Hinunter. Und der nächste Bogen. Sie hielten nach sanfteren Hügeln Ausschau, um die Kraft der Gyori zu schonen. Und weiterhin wies sie der Berg ab, drängte sie in die entgegengesetzte Richtung - zum Fluß.
    Weitere Pfiffe. Wie aus einem in einer Hecke geborgenen Vogelnest.
    Zunehmende Wut und Aggression. Bald zerplatzende Blase.
    Aufgeschreckte Hornissen.
    Die Falkenmeisterinnen: Sie sind allein, es gibt keinen Hinterhalt.
    Die halbe Bevölkerung in den Baumkronen. Wäre die Insel ein Boot, ihr Gewicht hätte es kentern lassen. Bewaffnet. Bogen.
    Madar allein weiß, was noch. Sie sind nervös - wegen Shadith; Kleider, Ausrüstung, der Falke, alles gehört zu ihnen, aber wie kommt es, daß eine von ihnen so gefügig neben einer Feindin der Centai reitet?
    Plötzlich lächelte Aleytys, löste den Lederriemen, mit dem sie ihre Haare zusammengehalten hatte, und ließ ihre flammend rote Mähne frei über ihre Schultern hinabfallen. Der Wind fuhr hinein, spielte damit, plusterte sie auf, wehte sie nach hinten, wie ein zerfetztes Banner, eine stolz flatternde Herausforderung an die Beobachterinnen. Sie schüttelte die Haare aus dem Gesicht zurück, wandte sie um, spähte nach hinten, als sie die nächste Anhöhe erklommen hatten. Ein Hauch von Rot war im Osten zu erkennen
    - das erste Licht des Tages kroch dort heran und breitete sich über ihr aus, noch bevor

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