Die falsche Frau
fühlte mich, als ginge es zu meiner
Beerdigung.
Erst in der Nacht war irgendwo in Berlin die Entscheidung gefallen,
dass die Bundeskanzlerin nun doch anreisen, aber noch im Lauf des Abends nach
London weiterfliegen würde. Ihre Anwesenheit war aus Sicht des Protokolls
überhaupt nicht erforderlich. Sie diente lediglich dazu, bei der amerikanischen
Delegation für bessere Laune zu sorgen. Die transatlantische Stimmung hatte
sich in den vergangenen Monaten eingetrübt, da die Konjunktur der USA nach der
weltweiten Finanzkrise einfach nicht anspringen wollte, während die Wirtschaft
Deutschlands längst wieder brummte.
Den Beginn des inneren Teils des Konvois bildeten zwei gepanzerte
schwarze Mercedes-Limousinen der Sicherungsgruppe Berlin, die alles aus dem Weg
scheuchen würden, was unsere Fahrt zu behindern drohte. Diesen folgten in
kurzem Abstand wir selbst in unserem Audi. Hinter uns die Amerikaner, verteilt
auf zwei schwere Botschafts-Cadillacs und drei schwarze Chevrolet-Vans mit
dunklen Scheiben â exakt so, wie man es im Kino schon tausend Mal gesehen
hatte. In welchem dieser Vans Mister Henderson sitzen würde, war ein
Staatsgeheimnis und würde vielleicht erst im allerletzten Moment entschieden
werden. Die Nachhut schlieÃlich bildeten zwei Streifenwagen der deutschen
Polizei.
Die Boeing 747 landete drei Minuten zu früh auf der Startbahn Süd,
bewegte sich von dort jedoch nicht zu einer der üblichen Parkpositionen für
Passagierflugzeuge, sondern rollte zum Frachtgelände im südlichen Bereich des
riesigen Areals. Niemand, der keine Sondererlaubnis hatte, kam näher als
zweihundertfünfzig Meter an die Maschine heran, ohne von einem der entschlossen
um sich schauenden Army-Soldaten erschossen zu werden. So konnten wir nur aus
der Ferne beobachten, wie die Boeing abseits vom Getümmel der Frachtmaschinen
zum Stehen kam, Treppen herangefahren wurden, Türen sich öffneten und einige
Personen eilig die Stufen hinabliefen und sich nach kurzem Händeschütteln in
die Vans verteilten. Dann kam auch schon das »Go!« aus dem Funk.
Die Mercedesfahrer schalteten die Blaulichter ein, die ersten
Fahrzeuge setzten sich in Bewegung. Sekunden später lieà auch unser Fahrer den
Motor an. Die Kolonne formierte sich so elegant und problemlos, als hätte man
es hundertfach geübt. An jeder Ampel standen uniformierte Kollegen und verschafften
uns freie Bahn. Dieser Teil der Strecke gehörte zu den gefährlichsten, da die
Geschwindigkeit notgedrungen niedrig war. Später, auf der Autobahn, waren die
Fahrzeuge kaum noch zu treffen, womit auch immer. Die Amerikaner hatten sich
eine Mindestgeschwindigkeit von hundertfünfzig ausbedungen, je schneller, desto
besser. Balke hatte gelästert, in Wirklichkeit ginge es ihnen darum, auf den
berühmten deutschen Autobahnen endlich einmal die Höchstgeschwindigkeit ihrer
Fahrzeuge zu testen.
Schon jetzt wurden wir per Funk zur Eile angetrieben. Die schwarzen
Mercedes vor uns fegten um immer neue Ecken und Kurven, wir folgten mit Mühe
und quietschenden Reifen, die Amerikaner hielten den vorgesehenen Abstand ein.
Schon kam die Autobahn in Sicht, Auffahrt Zeppelinheim, auch hier an jeder Ecke
Blaulicht und Uniformen. Dann waren wir auf der A5. Im Spiegel sah ich, dass
Helena einen fiebrigen Glanz in den Augen hatte. Sie lächelte mich gequält an,
als wollte sie uns beiden Mut machen.
Die Mercedes vor uns fuhren nebeneinander auf den beiden linken
Fahrbahnen der vierspurigen Autobahn und drehten auf. Hundertfünfzig, sah ich
auf unserem Tacho, hundertsechzig. Bei hundertachtzig beschleunigten sie nicht
weiter. Die Vorausfahrzeuge meldeten freie Bahn und, abgesehen von einem
polnischen Lkw mit Reifenschaden acht Kilometer vor Darmstadt, keine Auffälligkeiten.
Der arme Fahrer hatte inzwischen schon Besuch von einem der Wagen der
Autobahnpolizei bekommen, die alle paar Kilometer auf dem Standstreifen in
Bereitschaft standen oder sich im Schleichgang bewegten.
Keith Sneider hatte seine Teilnahme am Transport am Morgen kurzfristig
abgesagt. Sein Kaugummi kauender Stellvertreter, Sam Richards, war mir schon
beim ersten Händedruck unsympathisch gewesen. Als er sich per Handy meldete, um
zu hören, wie es vorne aussah, klang er angespannt und nervös. Die früher von
den Amerikanern zur Schau gestellte Cowboy-Coolness war verschwunden.
Hin und wieder drangen knappe, knarrende Kommandos auf
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