Die falsche Frau
man. Was für
eine Kondition, wenn man bedenkt, wie alt der Typ ist!«
Ein Satz fiel mir ein, der Coco Chanel zugeschrieben wurde: Alter
schützt nicht vor der Liebe, aber Liebe vor dem Alter.
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Der Vormittag würde ruhig verlaufen. Solange die Herrschaften
in ihren Meeting-Rooms saÃen und über die Weltwirtschaft debattierten, waren
sie höchstens durch einen Flugzeugabsturz oder einen Raketenangriff in Gefahr
zu bringen. Oder durch einen mit Sprengstoff vollgestopften Helikopter. Der
Luftraum über der Kurpfalz war seit nun schon fast vierundzwanzig Stunden gesperrt.
Auf der Air Base Ramstein standen zwei voll bewaffnete Phantom-Abfangjäger mit
rund um die Uhr laufenden Triebwerken in Alarmbereitschaft. Und dennoch â¦
Kritisch würde es noch einmal am frühen Nachmittag werden. Nach dem
Essen waren zwei Stunden Sitzungspause anberaumt, die Henderson für einen
Kurzbesuch des Heidelberger Schlosses nutzen würde. Dann herrschte noch einmal
Alarmstufe Rot. Die Herren Minister und ihre Staatssekretäre würden die gut
zwei Kilometer zwischen Hotel und Schloss in Hubschraubern zurücklegen, der
Tross in einem Fahrzeugkonvoi. Längst waren die Absperr- und Sicherungsarbeiten
im Umfeld des Schlosses in vollem Gange. Angeblich hatte Henderson dort oben,
mit Aussicht auf Altstadt und Neckar, seine erste Liebe geküsst. Es kursierte
allerdings das Gerücht, diese oder eine ähnliche Geschichte habe er für jeden
erwähnenswerten Ort der Welt parat. Immerhin hatte er sich in jungen Jahren
tatsächlich zwei Semester lang in Heidelberg die Zeit vertrieben, hatte ich in
der Zeitung gelesen. Das Internet war offenbar doch nicht allwissend.
Schon wieder summte mein Telefon, wieder Balke: »Das hatte ich in
dem ganzen Trubel völlig vergessen. Ich sollte mich ja um diesen Matthew
Wollstonecraft kümmern. Der Mann war zugleich promovierter
Wirtschaftswissenschaftler und überzeugter Kommunist, man glaubt es kaum.
AuÃerdem war er Gründungsmitglied von Attac und hat schon vor zwanzig Jahren
rund um die Welt Vorträge gehalten über die drohenden Megakrisen â¦Â«
»Sie sagen âºwarâ¹?«
»Er ist tot. Vorletztes Jahr ums Leben gekommen in Pakis⦠Moment
mal, Pakistan? Das sehe ich jetzt erst.«
»Wie genau ist er ums Leben gekommen?«
»Muss ich klären«, sagte Balke mit belegter Stimme. »Muss ich sofort ⦠Das ist ja â¦Â«
50
Am frühen Nachmittag stand ich mit den Händen in den
Taschen auf den Wiesen östlich des heute für Besucher gesperrten Schlosses
herum. Noch viele andere offiziell gekleidete Menschen standen tatenlos herum.
Nicht ganz zufällig war mein Platz neben von Lüdewitz.
Die Herrschaften würden sich verspäten, entnahm ich den Gesprächen
einer Gruppe von Amerikanern, die mit angespannt-gelangweilten Mienen
herumstanden und im Sekundentakt die Sauberkeit ihrer Schuhe überprüften. Damit
die Schlossanlagen nicht so entvölkert wirkten, war irgendein Genie auf die
Idee gekommen, eine Schulklasse zu akquirieren, die Mister Henderson Fähnchen
schwingend begrüÃen sollte. Die armen Kinder waren etwa zehn Jahre alt und
schon jetzt kaum noch zu bändigen. Die Lehrerin war bereits vor Beginn des
ministerialen Kurzausflugs mit den Nerven am Ende.
Beim Mittagessen hatte sich im lockeren Gespräch zwischen Henderson
und seinem deutschen Kollegen ein neuer Denkansatz ergeben, erfuhr ich, der die
in eine Sackgasse geratene Tagung vielleicht doch noch zu einem Teilerfolg
bringen würde. Deshalb war der Ausflug kurzfristig um eine halbe Stunde
verschoben worden.
Die Lehrerin erlaubte ihren herumzappelnden Kindern, sich im
hinteren Bereich des Hortus Palatinus auszutoben. Jubelnd stoben sie davon.
Minuten später kam, obwohl die halbe Stunde noch längst nicht
verstrichen war, plötzlich Unruhe in die Amerikaner mit den breiten Schultern
und grauen Knöpfen in den Ohren, dann hörte ich schon die Hubschrauber in der
Ferne, die sich sehr rasch näherten. Hohe Geschwindigkeit schaffte auch in der
Luft Sicherheit vor Anschlägen.
»Was halten Sie eigentlich von Frau Guballa?«, fragte ich von
Lüdewitz so beiläufig, als wollte ich nur ein wenig Small Talk machen.
Er hob die Achseln im maÃgeschneiderten Sakko. Beamte, die sich
tagtäglich in den höchsten Kreisen der Politik bewegten, erhielten einen
ordentlichen
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