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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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ewigen
Dufflecoat, sondern in einem leichten sandfarbenen Wollmantel, in dem sie sogar
ein wenig elegant wirkte. Wir erreichten den um diese Uhrzeit stark belebten
Bismarckplatz, mussten an einer roten Fußgängerampel warten.
    Â»Ja, wie war ich? Gekifft habe ich nicht, und von einem halben Glas
Bier wurde mir sofort schlecht. Ich habe nicht in Boutiquen geklaut, ich war
nicht magersüchtig und nicht bulimisch. Ich hatte keinen allzu wilden Sex. In
der Schule war ich so lala.«
    Â»Ihre Eltern müssen glückliche Menschen gewesen sein«, seufzte ich.
    Â»Im Großen und Ganzen war ich wohl ganz erträglich, ja.«
    Die Ampel wurde endlich grün, aus der Hauptstraße quoll uns eine
Traube Passanten entgegen, die meisten mit Einkäufen beladen, in Tragetüten,
Jutetaschen, Paketen.
    Â»Nein, das stimmt gar nicht«, sagte meine Begleiterin leise, nachdem
wir wieder eine Weile schweigend gegangen waren. »Ich hatte mit sechzehn noch
überhaupt keinen Sex.«
    Ihr Geständnis überraschte und verwirrte mich. Es passte nicht in
dieses Gespräch. Wir waren Kollegen. Kollegen, die sich überdies kaum kannten.
Da redete man doch nicht in den ersten fünf Minuten …
    Â»Damals war man in diesen Dingen ja auch noch nicht so locker wie heute«,
sagte ich leichthin, als fände ich ihre Offenheit völlig normal.
    Â»Ach herrje.« Wieder lachte sie. Ihr Lachen hatte etwas von
Glockenläuten. »Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was meine Freundinnen
damals voller Stolz herumerzählt haben …«
    Fünf Minuten später erreichten wir unser Ziel, das Essighaus nahe
der Universitätsbibliothek. Das kleine, schmucklos eingerichtete Lokal war noch
fast leer.
    Â»Ich habe einen Mordshunger«, stellte meine Begleiterin fest,
während sie sich ungeniert umsah. »Man isst gut hier, oder?«
    Â»Ich bin zum ersten Mal hier.«
    Ihr Blick huschte hin und her, vermutlich auf der Suche nach einer
Frau Anfang fünfzig, die in ein Buch vertieft allein in ihrer Ecke saß. Ich
deutete auf einen Tisch am Fenster. Sie nickte und wählte ohne Zögern den
Platz, von dem aus sie die Straße überblicken konnte. Ihren Mantel hängte sie
achtlos über die Stuhllehne.
    Â»Dort drüben hat sie übrigens gewohnt«, sagte sie nach Sekunden.
»Von August zweiundachtzig bis Ende September dreiundachtzig.«
    Â»Wird Ihnen das nie langweilig? Immerzu demselben Menschen
nachzuspüren?«
    Erstaunt sah sie mich an. »Was könnte spannender sein als ein
Menschenleben? Als ein solches Menschenleben?«
    Â»Ich bewundere Ihre Geduld. Und Ihre Hartnäckigkeit.«
    Â»Da gibt es nichts zu bewundern«, versetzte sie spröde. »Ich kann ja
nichts dafür, dass ich bin, wie ich bin.«
    Ein junger, etwas zu kurz und breit geratener Kellner kam, tagsüber
sicherlich Student, und legte mit gleichgültiger Miene Speisekarten vor uns
hin. Am Nachbartisch schimpften drei alte Männer in breitem Kurpfälzisch über
die Benzinpreise.
    Helena Guballa wählte rasch entschlossen Wiener Schnitzel mit
Pommes. Ich war zu faul zum Nachdenken und nahm dasselbe. Beim Wein war es
umgekehrt. Ich bestellte einen Zwingenberger Riesling, sie schloss sich an.
    Â»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«, sagte meine
Kollegin, als wir wieder allein waren.
    Â»Versuchen Sie es.«
    Â»Was ist mit der Mutter Ihrer Töchter? Sind Sie geschieden?«
    Â»Sie ist tot.«
    Â»Oh.« Erschrocken schlug sie die Augen nieder. »Verzeihung.«
    Â»Wie ist es bei Ihnen?«
    Â»Ich?« Sie wich meinem Blick aus, sah zum Fenster hinaus. »Ich habe
kein Glück mit festen Beziehungen.«
    Â»Kann ich mir bei einer Frau wie Ihnen eigentlich nicht vorstellen.«
    Erst erstaunt, dann plötzlich zornig sah sie mich an. »Was soll das
denn heißen, eine Frau wie ich?«
    Ãœberrascht von ihrer scharfen Reaktion, musste ich erst meine
Argumente zusammensuchen.
    Â»Sie sind intelligent. Sie sind noch jung. Sie sind hübsch.«
    Wie magnetisch angezogen, wanderte ihr Blick immer wieder zum
Fenster. »Vielleicht lassen wir das Thema.«
    Â»Sie haben damit angefangen.«
    Â»Ja. Und es tut mir leid.«
    Plötzlich hing Frost in der rauchfreien Kneipenluft. Zum Glück
brachte der Kellner den Wein. Wir stießen an ohne Blickkontakt, nippten an
unseren Gläsern, und dann war es auch schon

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