Die falsche Tochter - Roman
Adoptionen entwickelte.« Sie blickte prüfend auf die Daten, die Jake auf der Tafel eintrug. »Das ist ein ziemlich großer Sprung«, sagte sie zu ihm.
»Aber es gibt eine logische Hypothese, die auf den verfügbaren Daten beruht.«
»Und wie lautet die Hypothese?« Doug nahm Callie das Blatt aus der Hand und versuchte vergeblich, in den Linien etwas zu erkennen.
»Richard Carlyle war der erste Säugling, den Marcus Carlyle gestohlen hat. Allerdings nicht aus Profitgier, sondern weil er einen Sohn wollte.«
Doug schob sich die Brille höher auf die Nase. »Und das kannst du hieran erkennen?«
»Ja — schau es dir doch an«, erwiderte Callie. »Zwei Jahre nach seiner Hochzeit, sechs Jahre nachdem er sich als Anwalt niedergelassen hatte, ändert er sein Fachgebiet. Vielleicht konnten er und seine Frau ja keine Kinder bekommen, sodass er ein persönliches Interesse an dem Thema Adoption entwickelte und sich mit den Richtlinien und Abläufen vertraut machte.«
»Warum hat er denn dann nicht einfach selbst ein Kind adoptiert?« , warf Lana ein.
»Darüber kann man spekulieren.« Jake ergriff die Kaffeekanne, stellte fest, dass sie leer war, und warf Callie einen hoffnungsvollen Blick zu.
»Jetzt nicht«, sagte sie.
Achselzuckend stellte er die Kanne wieder ab. »Carlyle war vermutlich ein Mann, der alles unter Kontrolle haben wollte. Was wir über seine häufigen Seitensprünge wissen, weist darauf hin, dass er Sex für seine Zwecke einsetzte. Für solche Menschen ist der eigene Nachwuchs Teil ihrer Identität.«
»Es hätte also sein Ego gestört, wenn er zeugungsunfähig gewesen wäre.« Doug nickte. »Nehmen wir einmal an, es sei so gewesen, dann wollte er sicher nicht, dass es jemand erfährt. Aber wie –«
»Warte.« Callie hob die Hand. »Immer nur eine Schicht auf einmal. Durch eine offizielle Adoption wäre sein Versagen bekannt geworden, und das passt ihm nicht. Er will jedoch auf jeden Fall ein Kind, und er ist der Typ, der einen Sohn will. Ein Mädchen würde ihm nicht reichen. Außerdem möchte er genau wissen, woher dieses Kind kommt, was auch gegen eine Adoption spricht, da damals die leiblichen Eltern oft nicht genannt wurden. Also sieht er sich um. Überall gibt es Leute mit Kindern. Mit zwei, drei oder vier Kindern. Leute, die in seinen Augen viel weniger wert sind als er. Weniger wohlhabend, weniger wichtig.«
»Das passt.« Lana schaute Callie an. »Es passt alles in sein Profil.«
»Er hat mittlerweile jahrelang Adoptiveltern vertreten. Er kennt die Abläufe, er kennt Ärzte, andere Anwälte, Agenturen. Er verkehrt gesellschaftlich mit ihnen«, fuhr Jake fort. »Über sie findet er Eltern, die seine Kriterien erfüllen. Er nimmt sich Zeit. Und dann holt er sich seinen Sohn, ob nun mit oder ohne privates Arrangement mit den leiblichen Eltern. Ich wette, dass es kein Adoptionsgesuch für Richard Carlyle in den Gerichtsunterlagen gibt, dass jedoch irgendwo gefälschte Akten existieren.«
»Kurz danach zieht er nach Houston um. Neue Stadt, neue Kanzlei, neues soziales Umfeld.«
»Und weil es funktionierte, weil er das, was er gewollt hatte, bekam, begann er sein — wie hat Dorothy es noch genannt?« , fragte Doug Lana.
»Sie nannte es seine Mission, sein einträgliches Hobby.«
»Wie auch immer — er hatte die Idee, die Bedürfnisse anderer wohlhabender, kinderloser Paare auf dieselbe Art zu erfüllen und zugleich davon zu profitieren.«
»So kann es gewesen sein. Jetzt muss man noch an irgendeinem Punkt auf der Zeitlinie hinzufügen, dass Richard es herausgefunden hat. Das hat Vater und Sohn entzweit. Marcus behandelte seine Frau schlecht, und womöglich ging er so häufig fremd, weil sie ihm keinen Sohn schenken konnte.«
»Sie haben sich erst scheiden lassen, als Richard zwanzig war.« Jake tippte mit dem Zeigefinger auf das Datum. »In dem Jahr, als Dory zur Welt kam.«
»Die Ehe passte in Carlyles Konzept. Aber dann ist sein Sohn erwachsen und entdeckt die Wahrheit. Die Familie bricht auseinander, die Ehe wird geschieden.«
»Und dann bekommt Carlyles Sekretärin eine uneheliche Tochter von ihm. Das muss für Mutter und Sohn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.« Doug ergriff die Kaffeekanne, stellte sie jedoch gleich wieder hin. »Das ist eine interessante Theorie, aber ich verstehe nicht, wieso sie uns dabei helfen soll, Dory zu finden.«
»Es gibt noch eine weitere Schicht.« Callie wandte sich wieder der Zeittafel zu. Ihr erschien jetzt alles vollkommen klar. Sie
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