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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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hochgeblickt.«
    »Du hast also das Bild des Aufpralls in deinem Kopf?«
    »Das kann aber täuschen. Ist mir schon oft passiert, dass mein Gehirn eine Vorgeschichte kennt, die ich gar nicht erlebt habe.«
    »Was hast du dann gemacht?«
    »Ich blieb stehen und starrte hin. Irgendwie habe ich wohl mein Telefon aus der Handtasche geholt und angerufen.«
    Die Zeitangaben sprachen dafür, dass Annika Sandell den Aufprall wirklich gesehen hatte. Und weil es nur die letzten fünf Meter des Falls gewesen sein konnten, war auch ihre Sinnestäuschung verständlich. Dass ein Mensch nur einige Meter entfernt auf die Straße aufschlägt, wäre für jeden ein unerwartetes Ereignis, und das Gehirn wird zunächst versuchen, den Eindruck zu korrigieren. Das hatte Henning schon oft in seiner Laufbahn erlebt, zuletzt am zwölften Mai, als Hammarby in der letzten Minute ein Tor von Djurgården bekam. Erst am vierzehnten Juni hatte Hennings Gehirn eingesehen, dass es wirklich so gewesen war.

5
    Als Ermittlungsleiter hatte Kjell sich wie immer selbst am meisten Arbeit aufgebürdet. Er saß im Keller des Rückgebäudes, wo die Tatorttechnik ihr Labor hatte, neben der lichtblonden Jenna Evaldsson, einer noch recht jungen Frau. Ihre Haut war ebenso hell wie ihr Haar, und auf ihrem Gesicht und vor allem auf den Wangen lag eine permanente Schamesröte. Kjell glaubte jedoch, dass sich Jenna Evaldsson so gut wie nie schämte. Das Licht im Labor war genormt. Deshalb kamen im Sommer viele her, um sich ein objektives Bild über ihre Sommerbräune oder die Schatten unter den Augen zu machen, denn das Normlicht zeigte die Dinge in ihrer wahren Farbe. Kjell und Jenna kannten sich nur bei Normlicht, in der Sonne und im Regen sah sie vielleicht anders aus. Ihre Aufgabe war es, aus all den Spuren vom Tatort eine erhellende Skizze und ein Bewegungsschema der Tat zu erstellen. Den Grundriss der Wohnung hatte sie bereits beendet, jetzt zeichnete sie alle Spuren ein. Jenna war ein ganz leiser Mensch, der bei allem, was er tat, nur angenehme Geräusche produzierte. Soweit er das wusste, war sie verheiratet. Bestimmt glücklich.
    Während sich die Tatortskizze vor seinen Augen abzeichnete, entstand auch ein erstes umfassendes Bild in Kjells Kopf. Alles hatte sich in dem mittleren Zimmer abgespielt, von dem nach links und nach rechts die Zimmer der beiden Frauen abgingen. Schräg durch dieses Zimmer führte eine Linie vom Flur bis zum Fenster, das nach der Aussage der Isländerin den ganzen Nachmittag über geöffnet gewesen war. Am Boden hatten sie so gut wie keine verwendbaren Spuren gefunden, die Suche am Fenster würde mehr einbringen. Jenna überspielte die Daten des Daktyloskops auf den Computer. Inzwischen konnte man damit nicht nur Fingerabdrücke auf einfache Art scannen, das Gerät ermittelte auch die Trägersubstanz. Und deshalb konnte Jenna immer schon sehr bald sagen, welcher Abdruck wie alt sein musste und welche Abdrücke zur gleichen Zeit entstanden waren. Wenn sich jemand im Bad die Hände eingecremt und dann im Wohnzimmer den Fernseher eingeschaltet hatte, dann wusste Jenna das. Leider traf Kjell meist nur dann auf schmierige Hände und aufgeweichte Feldwege, wenn sich gar kein Verbrechen ereignet hatte. Aus den Kommentaren, die sich die Techniker immer wieder zuriefen, war nichts Gutes für eine Täterspur zu erhoffen. Jenna schloss die Strecke zwischen Tür und Fenster ab und drehte nun ihren Tuschestift mit betonter Endgültigkeit zu.
    »An der Tür und am Fenster nur die beiden Frauen«, sagte sie und reckte sich auf ihrem Sitzball. Ihre Stimme zwitscherte immer ein wenig. »Es gibt Fingerabdrücke recht weit oben an den Fensterbalken, auf dem Geländer allerdings keine Schuhabdrücke.«
    »Also ist sie nicht hochgestiegen?«
    »Sicher nicht. Das Geländer war recht staubig und verrußt, da hätten wir ein Profil finden müssen. Aber sie hat darauf gesessen.«
    »Und auf dem Boden? Gibt es da Fußspuren?«
    »Es wurde gelaufen. Immerhin, oder?«
    »Gibt es irgendwas, was von einem Eindringling stammen könnte?«
    Jenna warf einen Blick zum hinteren Teil des Raumes, wo neun Techniker an Leuchtgeräten saßen und die Klebefolien nach Partikeln absuchten. Anscheinend war die Ausbeute bisher gering. Jenna zuckte mit den Achseln.
    Während er im Lift hinauffuhr, spürte Kjell einen beklemmenden Druck auf seiner Brust. Inzwischen waren drei Stunden vergangen, aber außer der Aussage des Nachbarn sprach nichts für einen Eindringling. Als er die

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