Die Falsche Tote
Luftbild. Es gab da eine nette Wiese mit einem Durchmesser von dreihundert Metern, aber es war etwas anderes, im Finstern richtungslos darüber zu rollen. Wahrscheinlich konnte man hier an sonnigen Nachmittagen Fußball spielen.
»Ins Meer können wir nicht kippen«, meldete Sofi nach vorn. »Es kommt noch einmal Wald. Dort stehen auch die Häuser.«
Kjell bremste abrupt. Mitten vor ihnen stand ein einzelner Baum.
»Das dürfte dann wohl die Weltenesche sein«, glaubte Henning. »Am besten fährst du einfach drum herum.«
Auf der Rückbank kippte Sofi um vor Lachen. Kjell schlug das Lenkrad ein und umfuhr den Baum. Auf einmal ruckelte es heftig.
»Jetzt hast du auch noch die böse Midgardschlange überfahren«, rief Sofi.
»Kaum«, sagte Henning. »Die wohnt im Forsavägen in Bandhagen und ist mit einem U-Bahn-Schaffner verheiratet.«
Auf einmal zeichneten sich Konturen in der grauen Fläche ab, die das Fernlicht warf. Sie erwiesen sich als Hütten. Bäume tauchten auf. Sie waren am Ende der Wiese angelangt. Und jetzt sahen sie auch das große rote Haus. Henning stieg aus dem Wagen und lief hin. Er klopfte an die Tür, aber nach einigem Warten gab er auf und drehte eine Runde um das Gebäude.
»Da ist niemand«, berichtete er nach seiner Rückkehr. »Aber dort hinten steht ein Auto zwischen den Bäumen.«
Kjell fuhr ein Stück zurück und richtete den Wagen so aus, dass der Lichtkegel auf das Fahrzeug fiel. Henning musste sich zwischen den niedrigen Zweigen der Tannen hindurchzwängen. Nach vier Minuten kehrte er telefonierend zurück.
»Die Madeira Edelholzinnenausstattung in Nussbaum gehört einem Mats Mahlström. Wohnt in Östermalm und ist der Polizei vollkommen unbekannt.«
83
Entweder log Liselotte Lernelius, oder sie wusste wirklich nicht, wo sich ihr Chef befand. Sie saß mit aneinandergepressten Knien in Verhörraum vier und behauptete, dass sie zum letzten Mal vor fünf Tagen, also am Sonntag, mit Stavros Jernberg telefoniert habe.
Barbro konnte nicht mehr lange gegen ihre Müdigkeit ankämpfen. In ihrem Kopf verschwammen die Zusammenhänge, und weil von originellen Ideen keine Rede mehr sein konnte, fragte sie einfach drauflos. Emmi lag jetzt zu Hause in ihrem Hasenschlafanzug neben Barbros Mutter. Wenn Barbro später wirklich nach Hause konnte, würde sie tot ins Bett kippen und Emmi munter sein.
»Ich versuche, euren Arbeitsablauf zu verstehen, das wirst du doch einsehen.«
Die Sekretärin zuckte mit den Schultern. »Er sagt mir eben nicht, wo er sich jetzt und morgen aufhält, weil er das gar nicht kann!« Barbro verstand, dass Liselotte Lernelius’ Schreien nur die Reaktion auf ihren eigenen Tonfall war. »Er macht nur die Projektierung bis zu den Verträgen. Mit der Arbeit im Büro hat er nichts zu tun. Er unterschreibt nicht mal selbst. Das macht alles Valtersson.«
»Aber du musst doch wissen, wo er sich jetzt aufhält, ob hier oder in London oder in Tallinn.«
»Ich sehe ihn so gut wie nie. Wir telefonieren nur, und da erfahre ich meist nur durch Zufall, wo er sich gerade aufhält. Ich lege immer eine Mappe mit den Unterlagen, die er lesen oder unterschreiben muss, an eine bestimmte Stelle. Er ist meist abends im Büro, und ich erkenne es nur daran, dass die Mappe abgearbeitet ist. Nur in dringenden Fällen sende ich ihm Dokumente mit Kurier.«
»Und wann war die letzte Mappe fertig?«
»Am Montag. Er wird irgendwann am Wochenende vorbeigeschaut haben. Die neue Mappe habe ich gestern hingelegt, und ich weiß nicht, ob er sie sich inzwischen angesehen hat.«
Vielleicht war Jernberg da bereits tot gewesen. Barbro beendete das Verhör und eilte hinauf ins Büro. Dort rief sie Ragnar an.
»Weißt du etwas von Jernberg?«
»Nein«, sagte Barbro. Sie ging nervös in ihrem Büro auf und ab, während sie sprach. »Die Techniker haben die beiden Telefone, die er offiziell verwendet, bei ihm zu Hause in seinem Arbeitszimmer gefunden. Ich brauche die Bestätigung, dass Jernberg der Tote aus dem Park ist. Wie sieht es mit Fingerabdrücken aus?«
Ragnar seufzte. »Schlecht. Hier wird viel geputzt, trotzdem gibt es Abdrücke von sehr vielen Menschen.«
Etwas Ähnliches hatte Barbro von Per aus der Villa gehört. »Es muss irgendwo eine weinrote Mappe herumliegen«, sagte sie. »Sie liegt entweder in seinem Büro oder im Sekretariat. Das ist gleich nebenan.«
»In seinem Büro haben wir nichts entdeckt. Aber ich schau mich um.«
84
Der Wald lichtete sich. Sie hatten das Ende des
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