Die Falsche Tote
Kjell nach ihr greifen und sie festhalten musste. Ihr Schrei wurde von einem Quietschen übertönt, das alles durchdrang. Die Schüssel bewegte sich, sie drehte sich nach rechts. Die Bewegung machte Sofi mehr Angst als der Krach. Und dann erschrak Sofi noch einmal, als die Schüssel sich neigte und nach hinten zu kippen schien. Genau auf sie. Sofi taumelte zurück. Sogar Henning setzte den linken Fuß nach hinten, aber die Schüssel kippte nicht, sie neigte sich nur um einige Grad.
»Wow!«, flüsterte Kjell und sah auf sein Telefon. »Da habe ich wohl die falsche Taste gedrückt.«
Sofi keuchte und lachte gequält auf. Der Mann stand direkt vor der Schüssel und war in seiner Position erstarrt. Für ihn musste es noch schlimmer gewesen sein.
Aus Reflex schlug sich Sofi auf den Unterarm. Aber es war keine Mücke. Alle Härchen hatten sich aufgestellt. Ein Brummen ertönte, es klang ganz tief und gleichmäßig. Der Mann schien nicht zu hören, als sich ein anderes Brummen aus dem Krach herauslöste. Erst als der Hubschrauber seine Scheinwerfer einschaltete, fuhr er herum und blickte zum Wasser. Er schoss wieder. Doch der Hubschrauber war viel zu weit draußen über dem Wasser.
Der Mann gab drei Schüsse ab.
»Ist der blöd!«, flüsterte Henning und schüttelte den Kopf. »Wie will er den Hubschrauber mit der Pistole treffen?«
Kaum hatte Henning den Satz beendet, da fiel der Mann in weitem Bogen nach hinten und blieb reglos liegen. Der Hubschrauber drehte ab.
»Was für ein Schuss!«, sagte Henning.
Obwohl sie das Bordgewehr mit seinem langen Lauf von zahlreichen Hubschrauberflügen kannten, standen sie doch alle drei wie gebannt von der Wucht, mit der der Körper vom Boden gerissen worden war, einfach nur da, bis in Kjells Hand wieder das Telefon klingelte. Das Klingeln klang merkwürdig verzerrt. Er sprang auf und stürzte den Fels hinauf. Er lief ein ganzes Stück und blieb dann vornübergebeugt stehen. Nach einer Minute kam er zurück.
»Der Hubschrauber muss in Nynäshamn landen. Sie haben Probleme mit der Elektronik. Auch die Küstenwache kann sich nicht nähern. Da vorn soll eine Hütte liegen, die zur Schüssel gehört.«
Als sie zum Abhang zurückkehrten, sahen sie Henning unten beim Toten. Sie folgten dem Grat bis zu der Stelle, wo man absteigen konnte. Vor der Schüssel verstanden sie, warum der Mann so erstarrt war, nachdem sich die Schüssel bewegt hatte.
»So muss Strahlentherapie sein!«, schrie Henning, dessen Haare steil zu Berge standen. Er durchsuchte die Taschen des Mannes, fand jedoch nichts. Sofi betrachtete voll Faszination und Sorge die Anzeige ihres Telefons. Es würde sich wohl nicht mehr erholen.
Als die Schüssel wieder zu quietschen begann, war Sofis Schrei etwas lauter als beim ersten Mal. Sie hatte eigentlich selten Angst, aber das hier war schlimmer, als wenn sie nassgeschwitzt von ihrem Bärentraum erwachte, wo sie ein aufrecht laufender Bär durch den Wald verfolgte und immer näher kam.
Die Schüssel kippte jetzt nach vorn. Sie wollte nach vorn kippen, um Sofi zu erschlagen. Nach wenigen Grad entschied sie sich aber um. Kjell und Henning lachten, als es endlich hätte still sein können.
Von hier sah man die Hütte.
85
Auf der Ablage des Sekretärinnenzimmers fand Ragnar gleich drei Mappen und war sich im flackernden Licht der Leuchtröhren nicht sicher, welche davon weinrot war. Die der Farbe von Wein noch am nächsten kam, enthielt nur Zahlungsanweisungen und Lohnabrechnungen, die zweite war hellrot. Ragnar klappte die dicken Trenner einen nach dem anderen um, stieß aber nur auf Verträge und ähnliche Schriftstücke, von denen keines Jernbergs Unterschrift trug. Dann kam etwas Neues. Ragnar wusste nicht, ob Jernberg es sich schon angeschaut hatte, aber dieser Brief nannte immerhin seinen Namen als Empfänger. Eine Versicherung in London hatte ihn geschickt. Dear Mister Jernberg, las Ragnar, und dann las er von dem tiefen Bedauern der britischen Versicherung über den Tod von Jernbergs Eltern Yngve und Eleni. Wann und wie die beiden gestorben waren, erfuhr er leider nicht aus dem Schreiben. Offenkundig war es auch nicht die erste Reaktion der Versicherung, sondern der Abschlussbrief einer vorangegangenen Korrespondenz. Man teilte Jernberg mit, dass die Versicherungssumme von 4,1 Millionen Pfund nach Rücksprache mit der schwedischen Botschaft in Athen in den kommenden Tagen auf Jernbergs Privatkonto bei der Handelsbank zur treuhänderischen Verwaltung transferiert
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