Die Falsche Tote
Teppichmesser dabei, falls ihr Kajalstift gespitzt oder etwas abisoliert werden musste. Es klackte, als Kjell die Klinge ausfuhr. Er legte das Kuvert an den Rand der Tischplatte und schnitt es an der Seite auf.
»Worüber hast du eigentlich deine Abschlussarbeit geschrieben?«, fragte Sofi, um die Wartezeit durchzustehen.
»Über den Optativ.«
»Optativ ist, wenn man sich etwas wünschen darf, oder?«
Kjell lächelte, während er mit dem Teppichmesser die letzten Zentimeter hinter sich brachte. »Oder wenn man etwas bekommt, womit man gar nicht gerechnet hat.«
Per Arrelöv würde sie bestimmt töten, wenn er hiervon erfuhr. Kjell zog einen gefalteten Papierbogen aus dem Schlitz. Es war von der gleichen Sorte wie das Kuvert. Kjell faltete es auf, ohne die Fläche des Papiers selbst zu berühren. »Wird schwierig mit den Fingerabdrücken«, murmelte er vor sich hin. Das Papier war weich und rau.
Er konnte es unmöglich ganz gelesen haben, als er ihr das Papier nach wenigen Augenblicken hindrehte. Er grinste ernst.
ΤΟΥΤΟΛΕΓΕΙΕΣΠΕΡΙΑ
ΗΔΥΘΕΡΟΥΣΔΙΨΟΝΤΙΧΙΩΝΠΟΤΟΝ
ΗΔΙΟΝΔΟΠΟΤΑΝΚΡΥΨΗ
ΜΙΑΤΟΥΣΦΙΛΕΟΝΤΑΣΧΛΑΙΝΑ
»Das ist Griechisch, oder?«
»Ganz recht.«
»Ganz schön lang, die Wörter. Wieder ein Brief von Aisakos?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Das ist ein Brief an Aisakos.«
Kjell bückte sich, bis er mit den Augen auf Höhe des Papiers war. »Das war Tinte!«
»Tatsächlich? Wer kann denn so gleichmäßig schreiben?«
Kjell wusste es auch nicht. Die Buchstaben wiesen überhaupt nichts Menschliches auf und glichen in ihrer Gestalt der Schrift auf Autobahnschildern. Beim ersten Anblick hatten sie es beide für einen Ausdruck gehalten.
Sofi beugte sich über die Zeilen. »Kannst du etwas lesen?«
»Die erste Zeile, ja, auf Anhieb. ›So spricht Hesperia.‹«
»Das steht da?«
»Ja.«
Sofi drehte den Zettel wieder, damit Kjell den Rest übersetzen konnte. Er begann, die beiden folgenden Zeilen auf seinem Notizblock abzuschreiben. Danach zog er senkrechte Striche zwischen die Zeichen, um die Wörter abzutrennen.
»Es wäre leicht zu lesen, wenn es normal geschrieben wäre, mit Zwischenräumen und Kleinbuchstaben. So ist es etwas ungewohnt.« Er begann zu schreiben.
Sofi nahm sich das Original vor. »Ob Josefin das geschrieben hat? Oder stammt das von der Toten?«
Das war in der Tat kaum zu beurteilen, und es würde auch für die Techniker nicht leicht werden. Sie hatten zwar gesicherte Handschriftproben von Josefin, aber das hier war so anders.
»Du kannst inzwischen nachsehen, ob du mehr von diesem Briefpapier findest«, sagte Kjell, ohne aufzuschauen.
In Josefins Zimmer und auch in dem von Sesselja entdeckte Sofi nichts, was diesem Papier glich. Sie kehrte zum Tisch zurück und zog sich ihren Computer heran. Auf den Internetseiten von Ordnung&Klarheit und bei Svanströms prüfte sie, ob sie das Papier führten. Sie versuchte es auch bei allen Papierherstellern, die ihr auf Anhieb einfielen. Es erwies sich als zu vage, die Bilder im Internet mit dem Blatt vor ihr zu vergleichen. Sie würde warten müssen, bis Per sich das Papier angesehen hatte.
»Süß ist dem Dürstenden im Sommer der Trank von Schnee. Süßer noch, wenn eine Decke die Liebenden verbirgt.«
Sofi starrte Kjell in die Augen.
»Es ist nicht von ihr«, erklärte er. »Ich habe das schon einmal gelesen. Irgendwo habe ich das schon einmal gelesen.«
Sie saßen beide eine Weile schweigend da.
»Es gibt sie also wirklich«, sagte Kjell. »Hesperia.«
»Das war doch klar. Aber wer ist es nun?«
»Das ist gar nicht so wichtig. Jetzt wissen wir, womit wir es zu tun haben.«
»Nämlich nicht mit dem Justizkanzler?«
»Nämlich nicht.«
»Die Tote könnte Griechin sein.«
»Es ist astreines Altgriechisch.« Kjell blätterte in seinen Notizen. »Josefins Seminararbeit hatte mit dem antiken Athen zu tun. Nun frage ich mich: Konnte sie Griechisch?«
»Muss man Griechisch können, um das zu schreiben? Anscheinend ist es ein Zitat.«
»Du musst dich mit der Dozentin treffen«, sagte er, während er sein Telefon aus der Hemdtasche zog und auf die Eins drückte. Sofi lauschte und fragte sich, warum ausgerechnet sie sich mit der Dozentin treffe sollte, wo er doch der Experte war. Kjell erkundigte sich nach Lindas Wohlergehen und gab ihr dann Instruktionen, im Flur zum Regal zu gehen und ein dickes braunes Buch zu suchen. In diesem Moment klingelte Sofis
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