Die Falsche Tote
Telefon. Es war Barbro.
»Es gibt eine Entwicklung«, sagte Barbro ohne Begrüßung. »Ihr solltet sofort herkommen.«
23
Kjell eilte mit Sofi den Gang entlang, der vom Aufzug zum Büro führte. Hoffentlich fand Linda das Zitat. Anscheinend hatte sie eine Verabredung, weil sie ein wenig genervt auf den Auftrag reagiert hatte.
Neben Barbro und Henning saß auch Sten Haglund, der Chef der Reichskrim, am Tisch des Besprechungsraums. Die drei hatten jeder eine halb leere Flasche Bajen-Fan-Bier vor sich, Hennings Feierabendmarke. Sonst war die Tischplatte leer bis auf die Ausgabe des Abendblatts. Sten tippte die Zeitung leicht an, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Kjell und Sofi nahmen Platz und suchten die Titelseite ab. Sten bemerkte, dass die beiden nichts entdecken konnten.
»Die Überschrift links. ›Die Schwachen haben keinen Advokaten‹«.
Abgebildet war nur ein Bild von Jan Guillou, der den Beitrag verfasst hatte.
Sofi schlug die zweite Seite auf und las vor. »Der JK hat in den falschen Fall eingegriffen. Statt der türkischen Familie zu helfen, die für den Ehrenmord an einer der Töchter beschuldigt wurde, sollte er lieber Mikael Persbrandt zur Seite stehen.«
Seit Wochen nun schon lieferte sich der bekannte Schauspieler Persbrandt einen öffentlichen Krieg mit dem Konkurrenzblatt Express. Dort hatte man sich eingebildet, Persbrandt hätte in einer Klinik Hilfe gegen eine zu große Lust auf Alkohol gesucht. Sofi hatte den Verleumdungsprozess genau verfolgt, weil der Schauspieler im Fernsehen genau die Person spielte, die sie in Wirklichkeit war. Rosenfeldt hatte Persbrandt nicht geholfen. Er hatte sich ganz allein frei geboxt, und Sofi konnte sich gut vorstellen, dass der Chef vom Express das schriftliche Urteil nur mit einem Gläschen hatte ertragen können.
»Ich würde Persbrandt zutrauen, dass er mit Josefin durchgebrannt ist«, fand Barbro und streichelte Persbrandts Gesicht auf dem Foto. »Ich wäre auch sofort mitgekommen.«
Kjell hob ernst die Hand. »Die Sache mit dem Ehrenmord haben wir doch untersucht«, sagte er zu Sten. »Einen Zusammenhang haben wir doch längst ausgeschlossen.«
Mit dieser Sache war Rosenfeldt bekannt geworden. Frisch im Amt hatte er den Mordprozess für nichtig erklärt. Die Ermittler waren sich sicher gewesen, dass die Familie für den Mord verantwortlich gewesen war, und hatten das Geständnis aus der Familie rausgeholt. Nicht ganz legal vielleicht, aber rausgeholt.
»Du glaubst, es ist ein Testballon?«, fragte Kjell seinen Vorgesetzten. »Wissen die etwas?«
Sten zuckte mit den Schultern. »Ist schon eigenartig. Zum letzten Mal haben sie den JK vor zwei Wochen erwähnt, immer nur kleine neutrale Meldungen. Das hier ist ein Angriff, genau zu diesem Zeitpunkt.«
»Es muss nicht unbedingt ein Testballon sein«, bemerkte Henning, und alle sahen ihn an. »Wir können es auch mit der Forderung selbst zu tun haben. Ist euch aufgefallen, dass der JK in einen Prozess eingegriffen hat, bei dem der Mord der Familie an der Tochter verhandelt wurde, und jetzt dieser Artikel erscheint, wo gerade die Tochter des JK verschwunden ist? Und eine Tote, die am Ende sogar Türkin sein könnte, an ihrer Stelle aus dem Fenster stürzt? Und dass der JK neben der Polizei noch einen anderen Feind hat, nämlich die Vasafront, deren ausländerfeindliches Propagandamaterial der JK am Freihafen beschlagnahmen und vernichten ließ? Seitdem ist er bei den Rechtsradikalen nicht mehr recht beliebt.«
Sofi räusperte sich. »Der JK hat auch die Maßnahme der Säpo legitimiert, das Leserforum auf der Internetseite genau dieser Zeitung hier nach dem Karikaturenstreit zu sperren, weil man befürchtete, dass die Kommentare Islamisten zu Anschlägen auf schwedische Botschaften oder Touristen provozieren könnte.«
Barbro schüttelte den Kopf. »Das ist aber alles schon lange her.«
Kjell wollte von Sten wissen, wie die Säpo den Artikel einschätzte.
»Die werten die Lage noch aus, heißt es.«
»Also hat Kullgren von der Ausgabe noch gar nichts gewusst, oder?«
Sten grinste. »Ich wollte euch nicht zu viel auf einmal zumuten. Das hier scheint mir eher der Aufhetzer zu sein. Schlagt mal Seite 43 auf.«
Eine kleine Meldung versteckte sich am unteren Rand der Seite: »Jemand verbirgt etwas über die Estonia .« Die neue Regierung hatte vor ihrem Antritt versprochen, dass das Schiffswrack geborgen werden sollte. Doch dann gab es eine Verordnung zur Wahrung der Grabruhe. Es kamen Gerüchte
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