Die Falsche Tote
auswarf. Dann eilte der Mann aus dem Schalterraum.
Sofi sah Kjell an. Der sah zurück.
»Die Tote?«, fragte sie auf Schwedisch und ganz leise.
Kjell zuckte mit den Achseln, aber Kjell hatte das auch gedacht, das hatte sie ihm angesehen.
33
Interessiert schlenderte Barbro durch das Arbeitszimmer in Malin Sissings schöner Sjöstad-Wohnung. Durch das großzügige Fenster sah man den Skiberg von Hammarbyhöjden emporragen. Der Scanner summte. Als das Geräusch verklang, gesellte sich Barbro zu Malin und betrachtete den Bildschirm. Bei einer Tasse Pfefferminztee hatte Malin erklärt, dass sie seit zehn Jahren als freie Schriftgestalterin arbeitete. Die Arbeit bestand darin, alte Buchschriften zu modernisieren und zu digitalisieren, damit man sie auf dem Computer verwenden konnte. Sie hatte auch sofort verstanden, was Barbro von ihr wollte. Dabei hatte Barbro nicht viel erklären müssen. Die Zettel hatten sogleich ihr Interesse geweckt. Sie erschienen jetzt in starker Vergrößerung auf dem Bildschirm. Malin vollführte einige komplizierte Tastenkombinationen, und ein Liniengitter legte sich über die Schrift. Malin ließ sich in ihrem Polsterstuhl zurücksinken und starrte auf die Buchstaben. Weitere Tastenkombinationen waren nötig. Zwischen den Zeichen erschienen schwarze und graue Rechtecke. Am Ende leuchtete der Text hellgrau vor schwarzem Hintergrund.
»Dass du dir die Tastenkombinationen alle merken kannst«, staunte Barbro.
Malin seufzte. »Ich sitze viel zu viel vor dem Computer. Neulich ist mir beim Abtrocknen eine Tasse heruntergefallen, und mir schoss sogleich der Befehl ›Rückgängig machen!‹ durch den Kopf.«
»Eine schöne Zwangsneurose, die du da hast.«
Malin nickte kichernd und zoomte mit der Maus die Linien und Kreuzungen der Buchstaben heran. Schließlich schien sie sich zu einem Urteil durchgerungen zu haben. Sie nickte verstehend und schrieb den Text des ersten Zettels in eine neue Zeile über den alten.
»Siehst du es?«, fragte sie.
Barbro nickte. Jede Zeile war in einer anderen Schrift gesetzt, aber sie waren sich alle auf geschwisterliche Weise ähnlich.
»Es ist die Jenson, eine sehr alte Schrift aus dem 17. Jahrhundert.« Malin zeigte Barbro an ausgewählten Merkmalen, woran die Jenson besonders gut von anderen Schriften zu unterscheiden war. Dass die Q-Schleife besonders lang war, konnte Barbro noch nachvollziehen, bei Federkielabflachungen in den Schwüngen erkannte sie keine Unterschiede, obwohl Malin sie wie ein Vorschulfräulein mit dem Cursor nachfuhr.
»Als im zwanzigsten Jahrhundert die neue Zeit begann, hat man die alten Bleisatzschriften digitalisiert. Es gibt immer mehrere Versionen von unterschiedlichen Herstellern.« Sie fuhr über die Zeilen. »Diese hier ist auch so eine Digitalisierung, aber ich kenne sie nicht. Das ist ganz schön seltsam.«
Malin blätterte in mehreren Katalogen.
»Die Jenson imitiert den Strichstärkenkontrast einer breiten Schreibfeder stärker als andere Schriften. Bei den modernen Adaptionen ist das ein wenig zurückgenommen. Von allen digitalen Versionen gleicht diese hier dem alten Original am meisten. Eine sehr konservative Variante. Außerdem wurde sie nach dem Bleisatzschriftbild digitalisiert und nicht nach der Form des Bleistempels. Da hatte jemand wirklich Ahnung. Die Digitalisierung ist auch sehr hochwertig. Nur die Abstände der Buchstaben nicht.«
Barbro versuchte, daraus Verwertbares abzuleiten und runzelte die Stirn. »Kannst du etwas über die Person sagen, die das geschrieben hat?«
»Wer das geschrieben hat, hat sich Mühe gegeben. Aber es ist die Mühe eines Laien. Das Wort ›Aisakos‹ ist mit einem Worttrennstrich vom Text abgesetzt. Das würde ein Fachmann niemals tun. Ein Fachmann würde die Zeilen auch nie zentrieren. Das ist typisch für Laien. Diese Zettel wurden mit einem normalen Textverarbeitungsprogramm geschrieben. Das erkennt man aus den Konturen. Schau, wie scharf die sind. Und die Abstände der Zeichen stimmen auch nicht. Bei einer professionellen Druckerschrift ist der Abstand jeder Buchstabenkombination genau festgelegt. Deshalb sind sie so teuer.«
»Es ist also keine Druckerschrift.«
»Doch. In eine professionelle Schriftdatei sind immer zwei Informationen eingefügt. Zum einen die Konturen der Zeichen. Die sind bei Buchdruckschriften viel sorgfältiger gezeichnet als bei kostenlosen Computerschriften. Und zudem steckt in der Datei eine Tabelle, in der die Abstände jeder Zeichenkombinationen,
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