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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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darauf hin. Hinter der Glastür musste sie eine Treppe hinaufsteigen und stand in dem riesigen Innenhof, wo Dutzende von Fenstern leuchteten. Von innen war der Häuserblock nicht so hässlich wie die Straßenfassade aus dunklen Ziegeln. Linda lief an dem Gebäudezug entlang und prüfte die Nummern der Hauseingänge. Das Haus mit der Nummer 124 lag nach Süden, auf der anderen Seite musste der Ringvägen liegen, die breite Querstraße, auf die die Götgatan an ihrem Ende traf, bevor sie zu einer Schnellstraße in die südlichen Vororte wurde. Linda rüttelte an der Tür und drückte ihr Gesicht an die Scheibe. Mindestens fünfzig Namen, dahinter nur die üblichen Codenummern, die man eingeben musste, wenn man bei jemandem klingeln wollte. 4193, das musste der Code für die Vordertür sein. Linda tippte die Zahlen ein. Die Tür sprang auf. Nachdem sie den Mut gefasst hatte, über die Schwelle zu treten, brachten sie ihre Beine mechanisch in den vierten Stock. Im Gang roch es nach einem süßen Gewürz, und aus einer der Türen drang ein schwedisches Poplied, das wie das Gebäude zu Beginn der Achtziger entstanden sein musste.
    In der Hosentasche spürte sie den viereckigen Griff des Schlüssels und wusste, dass er passen würde. An der letzten Tür drückte sie die Klingel und wartete. Sie drückte noch einmal und legte dann das Ohr gegen das schwärzliche Holz. Ganz langsam schob sie den Schlüssel ins Schloss. Das Klacken des Zylinders bereitete ihr Unbehagen. Sie erreichte den Lichtschalter, ohne einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Ein Flur nur. Sie huschte hinein und schloss die Tür hinter sich. Im Zimmer dahinter machte sie auch Licht und blickte auf ein Apartment mit einer Küche, einem Schrank aus hellem Spanholz, einem Tisch und einem breiten Bett. Aber ohne Dinge. Lebte hier jemand?
    Linda zog den Riemen ihrer Tasche über den Kopf. Ihre Haare verfingen sich und fielen ihr ins Gesicht. Sie musste sie glatt streichen. Dann ging sie zum Fenster und öffnete den Riegel. Sofort drang der Verkehrslärm vom Ringvägen ins Zimmer. Busse rauschten vorbei, und Bauarbeiter stellten gelbe Blinkleuchten auf. Einer kletterte auf eine Straßenwalze. Gegenüber leuchtete das rote Logo von Åhléns, und im Gebäude daneben war die Glasfassade eines Hotels rot und blau bestrahlt.
    Weil es nicht einmal einen Stuhl auf dem Balkon gab, ging Linda wieder hinein. Die Luft im Zimmer war ganz schön stickig. Sie ließ die Balkontür geöffnet, damit der Straßenlärm die eigenartige Stille überdeckte, die hier herrschte. Linda probierte den Hängeschrank über dem Herd und fand fünf Gläser und zwei Teller. Als sie im Bad das Licht anknipste, sah sie lindgrüne Kacheln und ein Stück Seife. Die Seife war frisch und ebenso der Stapel aus drei Badetüchern, der auf dem Klodeckel lag. Ganz flauschig. Sie ließ sich auf das Sofa fallen und kratzte sich am Hinterkopf.
    Ich hab ja die Cola, dachte sie, drehte vorsichtig den Verschluss ab und trank ein paar Schlucke.
    Das hier hatte nichts mit Amelie zu tun. Nichts in dieser Wohnung würde Amelie besitzen wollen. Hier musste jemand anderes wohnen, aber wohnen konnte man dazu auch nicht sagen. Es gab ja weniger als in einem Hotelzimmer. Sie roch an der Bettwäsche. Auch frisch. Linda näherte sich zögernd dem Schrank und zog die Schiebetür zur Seite. Sie quietschte und klemmte ein wenig. Kleidung. Linda griff einige Bügel heraus. Wintersachen, aber beileibe nichts, was Amelie tragen würde. Linda hielt einen Anorak von sich und prüfte, ob er Amelie passen könnte.
    Linda blickte auf den Boden des Schrankes und sank auf die Knie. Dort standen mehrere Kartons. Linda öffnete den ersten. Endlich etwas Menschliches. In dem Karton war lauter Kram, ein Kalender von 2005 mit nur fünf Eintragungen, ein Anatomiebuch, eine speckige Buddha-Figur aus Elfenbein, vier goldene Pesetenmünzen. Im nächsten Karton fand sie einen Namen, er stand auf einer Monatskarte. Linda kroch über den Boden zu ihrer Tasche, nahm das Telefon und rief die Auskunft an. Ja, bestätigte die Frau, eine Lovisa Segemark gab es in der Götgatan 124. Eine Amelie Heidvall gab es nicht, dafür aber in der Kungsholmsgatan 2a.
    Totaler Quatsch, dachte sie und versuchte, den Gedankengang zu rekonstruieren, der sie hierhergeführt hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sich so ein Gedankengang nicht rekonstruieren ließ, das machte ihr nichts. Es war einfach ein Missverständnis. Die Besitzerin der Wohnung hatte nichts mit

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