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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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Diagnose. Es gibt noch eine Reihe anderer Persönlichkeitsstörungen, die man ohne Anamnese schwer ausschließen kann.«
    »Mich stört, dass ihre Mitbewohnerin nichts bemerkt zu haben scheint«, sagte Barbro. »Sie ist Notfallärztin. Wenn sie es nicht merkt …«
    »Das merkst du nicht, wenn du die Person nicht sehr gut kennst. Menschen mit Asperger verhalten sich wie ernsthafte normale Menschen und wirken nur humorlos. Sie beherrschen aber die Umgangsformen und unterscheiden sich von den anderen Menschen nur darin, dass sie den Sinn dieser Verhaltensweisen nicht begreifen. Sie verstehen zum Beispiel nicht, warum wir uns im Aufzug anlächeln. Aber sie tun es, sie haben es erlernt und wissen, wie sich andere in gewissen Situationen verhalten. Und da sie intelligent sind, sind sie richtig smart dabei. Gerade Frauen können bei einem gewissen Alter das Sozialgefüge komplett durchschauen.«
    »Dann kann es durchaus sein, dass die Mitbewohnerin nicht erkannt hat, dass sie an Asperger litt?«
    »Leiden. Nun ja. Ich und viele andere glauben nicht daran, dass es sich um eine Krankheit handelt. Wir halten es für eine evolutionäre Variante. Vor einer Viertelmillion Jahre hat die Natur erkannt, dass der Artvorteil der Menschen in ausgeprägten Sozialstrukturen liegt. Es gibt heute sehr sozial denkende Menschen und auf der anderen Seite den Autismus. Auf dieser Seite geht es eher um Wahrhaftigkeit. Mir fällt kein besserer Begriff ein. Also um das Nichtanpassen gegenüber der Umwelt. Dazwischen liegt der Mainstream. Nimmt man den als Richtschnur, sind die sehr sozialen Menschen ebenso krank wie die Autisten. Der Übergang ist mehr als fließend.« Mit spitzen Fingern hielt Frida das Zeugenprotokoll in die Luft. »Ein normaler Finne kann autistischer wirken als ein brasilianischer Autist. Die meisten sind übrigens Männer. Autisten haben nur die Eigenart, neue soziale Situationen nicht richtig einschätzen zu können. Sie müssen die Situationen ja auswendig lernen. Daran kann man sie erkennen. Leider erkennen sie Gefahr oft nicht, wenn sie von Menschen ausgeht. Was deinen Bericht angeht, das Geldnachzählen kann ein antrainiertes Verhalten sein, hinter dem schlechte Erfahrungen stehen.«
    »Erlerntes Misstrauen.«
    »Ganz genau. Du solltest die Mitbewohnerin noch einmal gezielt befragen. Du kannst sie auch herschicken.«
    Barbro kam wieder mit ihrer Jungfrauentheorie.
    »Muss keine Vergewaltigung sein. Ich habe eine Reihe von Asperger-Frauen und Autistinnen, die wunderbaren Sex haben. Sie sind jedoch ausschließlich passiv. Ich sprach ja von Wahrhaftigkeit. Weil sie die ganzen Zwangsvorstellungen über Sex aus den Frauenzeitschriften nicht lesen, weil sie es nicht verstehen, haben sie auch keine Orgasmusprobleme. Dass Sex eine besonders soziale Angelegenheit sein soll, ist eher ein modernes Missverständnis und eine schöne Ausgangsbasis für Anorgasmie.«
    »Ich kann das alles bestätigen«, sagte Barbro. »Ich bin überhaupt nicht sozial.«
    »Dann hast du also wunderbare Orgasmen beim Sex«, schlussfolgerte die Ärztin.
    »Nein, weil ich keinen Mann habe. Wahrscheinlich, weil ich so unsozial bin.«
    »Ein Drama«, sagte die Ärztin. »Das ganze Leben.«
    »Die sind also nicht berührungsempfindlich?«
    »Das ist ganz unterschiedlich. Empfindsamer sind sie alle. Wenn es nicht unerwartet kommt, ist es für einige okay. Manchmal suchen sie sogar Berührung, was auf normale Menschen verstörend wirkt. Wenn ich dich jetzt in den Arm nähme, zum Beispiel.«
    Auf das Wichtigste kam Barbro wie immer erst zum Schluss, als das Gespräch schon so gut wie vorbei war. Sie erzählte von Hesperias Liebesbrief.
    »Das ist natürlich unwahrscheinlich, wenn es echter Autismus ist.«
    »Dann kann sie nicht die Verfasserin sein?«
    »Doch doch! Die Frage ist wieder, inwieweit sie den Inhalt auch empfindet oder nur als Form verwendet. Dass es gelehrte Zitate sind, passt sogar ganz gut.«
    »Können wir gleich fahren?«
    »Jetzt?«
    »Soweit ich weiß, arbeitet Sesselja Ragnarsdóttir heute Abend.«

56
    Auf der Suche nach einer großen Unterlage, auf der sie die Blätter sortieren und durchsehen konnten, hatten sie eine Pizzeria gefunden. Sofi versah die Namen auf dem Ausleihkonto mit Sternen, je nach Wahrscheinlichkeit. Vor zwei Wochen hatte Nikolina Kovacevic das Buch ausgeliehen. Sie war zweiundvierzig Jahre alt und wohnte in der Skarpnäcks Allé 75. Mehr war aus den Ausdrucken nicht zu erfahren.
    »Die Gesuchte kann es nicht sein«,

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