Die Familie ohne Namen
verhehlte sie dabei kaum ihre Absicht, St. Charles zu verlassen – worüber sich auch Niemand erstaunt zeigte. Der Besitzer einer benachbarten Farm, Luc Archambaut, hatte eingewilligt, ihr für guten Preis einen leichten Wagen zu überlassen, der bespannt und zum Abfahren fertig, gegen neun Uhr Abends nach dem geschlossenen Hause gebracht werden sollte.
Herr de Vaudreuil empfand eine wirkliche Erleichterung, als er hörte, daß Bridget Erfolg gehabt hatte.
»Um neun Uhr fahren wir ab, sagte er, und ich stehe auf, um selbst Platz zu nehmen…
– O nein, Herr de Vaudreuil! unterbrach ihn Johann. Sie dürfen sich nicht unnütz anstrengen. Ich werde Sie nach dem Wagen tragen, in dem wir ein weiches Strohlager zurecht machen und eine Decke aus Ihrem Bette darüber breiten. Dann fahren wir nur langsam, um alle Stöße zu vermeiden, und so werden Sie hoffentlich die Reise aushalten. Da die Luft jedoch ziemlich kalt ist, werden Sie die Vorsicht beachten, sich gut zuzudecken. Was die Besorgniß angeht, daß wir auf der Straße ein unangenehmes Zusammentreffen haben könnten… Du hast nichts Neues gehört, Mutter?
– Nein, antwortete Bridget, doch erwartet man jeden Tag eine zweite Heimsuchung durch die Königlichen.
– Und die Polizisten, die mich bis St. Charles verfolgten?…
– Von denen hab’ ich keinen gesehen, und wahrscheinlich folgen sie längst einer falschen Fährte.
– Sie können aber zurückkehren, meinte Clary.
– Gewiß, und darum müssen wir wegfahren, sobald der Wagen vor der Thür steht, fiel Herr de Vaudreuil ein.
– Um neun Uhr, sagte Bridget.
– Bist Du des Mannes, der ihn Dir verkauft, auch sicher, Mutter?
– Ja, es ist ein ehrbarer Farmer, und was er zu thun versprochen, das wird er auch halten!«
Inzwischen wollte Herr de Vaudreuil sich ein wenig stärken. Mit Hilfe Clarys hatte Bridget sehr bald das einfache Frühstück hergerichtet, welches gemeinsam verzehrt wurde.
Die Stunden verliefen ohne Zwischenfall. Keine Störung von außen.
Von Zeit zu Zeit öffnete Bridget ein wenig die Thür und warf einen schnellen Blick nach rechts und links. Jetzt herrschte eine lebhafte Kälte. Der gleichmäßig graue Himmel ließ auf vollkommene Ruhe der Atmosphäre schließen. Wäre freilich ein Südwestwind aufgesprungen und hätten sich die Dünste der Luft in Schneeform niedergeschlagen, so wäre die Fortschaffung des Herrn de Vaudreuil sehr erschwert worden – wenigstens bis zur Grenze der Grafschaft.
Trotzdem gestalteten sich alle Aussichten so, daß die Fahrt in erträglichen Verhältnissen zu verlaufen versprach, als gegen drei Uhr Nachmittags in St. Charles ein unerwarteter Zwischenfall eintrat. Von ferne her hörte man in der Richtung auf den Flecken zu scharfe Trompetentöne schallen.
Johann öffnete die Thür und horchte… Er konnte eine Bewegung, welche seinen Unmuth verrieth, nicht unterdrücken.
»Trompeten! rief er. Ohne Zweifel, ein Trupp Soldaten, der sich auf St. Charles zu bewegt?
– Was sollen wir thun? fragte Clary.
– Warten, antwortete Bridget. Vielleicht ziehen jene Soldaten nur durch den Flecken.«
Johann schüttelte den Kopf.
Da Herr de Vaudreuil unmöglich am lichten Tage fortgeschafft werden konnte, mußte man wohl warten, wie Bridget gesagt, wenn sich Johann nicht etwa entschlösse, doch allein zu entfliehen…
Wenn er das geschlossene Haus augenblicklich verließ und einen Weg durch die neben der Straße sich hinziehenden Wälder einschlug, konnte es ihm wohl gelingen, in Sicherheit zu kommen, ehe die Königlichen St. Charles besetzt hatten. Damit hätte er aber Herrn und Fräulein de Vaudreuil gerade zur Zeit der schlimmsten Gefahr im Stiche gelassen, und daran dachte Johann ganz und gar nicht. Doch wie konnte er sie vertheidigen, wenn ihr Versteck aufgefunden wurde?
Uebrigens sollte die Besetzung der Ortschaft sehr schnell vor sich gehen. Es war eine Truppenabtheilung Whiterall’s mit dem Befehl, die Patrioten der Grafschaft zu verfolgen, welche längs des Richelieu hingezogen war und noch einmal ein Lager bei St. Charles beziehen sollte.
Im geschlossenen Hause hörte man schon den Klang der Trompeten, der näher herankam.
Endlich schwieg derselbe. Die Truppen waren am Ende der Ortschaft angelangt.
Da sagte Bridget:
»Noch ist nicht Alles verloren. Die Straße auf der Seite nach Laprairie ist noch offen und kann das vielleicht auch noch sein, wenn die Nacht kommt. Wir dürfen unsere Pläne nicht ändern. Mein Haus gehört nicht zu denjenigen,
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