Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
häufig in Meinungsverschiedenheiten mit anderen Führern. Nur Herr de Vaudreuil vielleicht hätte diese Reibereien schlichten können, welche in der verzweifelten Lage ihren Ursprung fanden. Zum Unglücke fühlte er, bei fortdauernder geistiger Energie trotz schlecht verheilter Wunden, seine Körperkraft täglich abnehmen und sagte sich, daß er eine letzte Niederlage nicht überleben werde. Inmitten der Besorgnisse, welche ihm die nächste Zukunft einflößte, beschäftigte sich Herr de Vaudreuil auch mit dem traurigen Zustand, in dem er seine Tochter hinterlassen würde.
    André Farran, William Clerc und Vincent Hodge bemühten sich fortwährend, die Niedergeschlagenheit ihrer Kampfgenossen zu bannen. Wenn die Partie auch diesmal verloren ging, wiederholten sie, so werde man nur die geeignete Stunde zur Wiederaufnahme derselben abzuwarten haben. Nachdem die Keime zu einer späteren allgemeinen Schilderhebung einmal gelegt seien, würden sich die Patrioten auf das Gebiet der Vereinigten Staaten zurückziehen, um sich hier zum neuen Feldzuge gegen ihre Unterdrücker vorzubereiten.
    Nein, man durfte an der Zukunft nicht verzweifeln, und das war sogar die Meinung des Meister Nick, der gelegentlich zu Herrn de Vaudreuil sagte:
    »Wenn der Aufstand vorläufig auch noch nicht siegen konnte, so müssen die Forderungen der Reformer schon allein durch die Gewalt der Thatsachen erfüllt werden. Canada wird seine Rechte früher oder später zurückerlangen, wird sich seine Selbstständigkeit erkämpfen und höchstens noch dem Namen nach mit England zusammenhängen. Sie werden das ja noch erleben, Herr de Vaudreuil; wir finden uns schon einmal wieder mit Ihrer lieben Clary in der aus den Ruinen entstandenen Villa Montcalm zusammen. Und ich – o, ich rechne stark darauf, nach endlicher Ablegung des Herrschermantels der Sagamores, der mir kaum bis an die Notarschultern reicht, in meine Expedition nach Montreal zurückzukehren.«
    Sprach Herr de Vaudreuil, der sich um die Zukunft seiner Tochter sorgte, darüber mit Thomas Harcher, so antwortete ihm der Farmer:
    »Gehören wir nicht auch etwas zu Ihrer Familie, gnädiger Herr? Wenn Sie für Fräulein Clary fürchten, warum senden Sie diese nicht zu meiner Frau Catherine? Dort, in der Farm von Chipogan wird sie in Sicherheit sein; dort finden Sie sie wieder, sobald die Verhältnisse das gestatten.«
    Herr de Vaudreuil machte sich jedoch keine Illusionen bezüglich seines Zustandes, und da er den Tod in seinem Innern nagen fühlte, wollte er die Zukunft Clarys unter schon längst von ihm gewünschten Umständen sichergestellt wissen.
    Da er Vincent Hodge’s Liebe für sein Kind wohl kannte, mußte er annehmen, daß diese Liebe auch erwidert würde. Niemals hätte er geahnt, daß Clarys Herz von dem Gedanken an einen Anderen erfüllt sein könne. Unzweifelhaft mußte sie ja, wenn sie an die Verlassenheit dachte, die ihr nach des Vaters Ableben drohte, selbst die Nothwendigkeit fühlen, eine Stütze in dieser Welt zu haben. Und gab es da eine verläßlichere als die Liebe Vincent Hodge’s, der an sie schon durch die Bande des wärmsten Patriotismus gefesselt war?
    Herr de Vaudreuil beschloß nun demgemäß zu handeln, um die Erfüllung seines liebsten Herzenswunsches zu erreichen. Er zweifelte ja nicht an den Empfindungen Hodge’s und konnte an denen Clarys noch weniger zweifeln. So wollte er sie Beide vor sich kommen lassen, mit ihnen reden und ihre Hände ineinanderlegen. Wenn er dann starb, würde er nur noch ein Bedauern haben – das Bedauern, der Heimat ihre Unabhängigkeit noch nicht haben wiedergeben zu können.
    Vincent Hodge wurde eingeladen, sich am Abend des 16. December bei ihm einzufinden.
    Es war ein kleines Haus an der Ostküste der Insel, gegenüber dem Dorfe Schlosser, das Herr de Vaudreuil mit seiner Tochter bewohnte.
    Bridget wohnte ebenfalls da, sie verließ dasselbe aber am Tage niemals. Meist ging das arme Weib nur mit der Dämmerung aus, versenkt in das Angedenken an ihre beiden Söhne, Johann, der für die nationale Sache gestorben war, und Joann, von dem sie keine Nachrichten mehr erhalten, und der vielleicht in einem Gefängnisse Quebecs oder Montreals nur die Stunde erwartete, wo auch er den Tod finden sollte.
    Uebrigens sah sie auch niemals Jemand in dem Hause, wo Herr und Fräulein de Vaudreuil ihr die Gastfreundschaft vergalten, welche sie im geschlossenen Hause genossen hatten. Hier quälte sie nicht die Furcht, erkannt zu werden, oder die

Weitere Kostenlose Bücher