Die Familie ohne Namen
Nein!… Sie sind nicht verantwortlich für das Verbrechen, das Sie so grausam gesühnt haben. Jenen abscheulichen Verrath haben Ihre Söhne überreichlich gut gemacht; Sie werden noch einmal gerechte Anerkennung finden; für jetzt lassen Sie mich Sie lieben, als wären Sie meine Mutter. Ihre Hand, Frau Bridget, geben Sie mir Ihre Hand!«
Gegenüber dieser rührenden Darlegung ihrer innersten Gefühle, welcher sie so ungewohnt war, ließ sich die Unglückliche erweichen und preßte die Hand des jungen Mädchens, während ihr große Thränen aus den Augen perlten.
»Und nun, nahm Clary wieder das Wort, nun sei davon niemals mehr die Rede, denken wir vielmehr an die Gegenwart. Mein Vater fürchtet, daß Ihre Wohnung doch erneuten Haussuchungen schwerlich entgehen werde. Er will, daß wir zusammen schon nächste Nacht, wenn die Straßen frei geworden sind, abfahren. Sie, Frau Bridget, können und dürfen nicht länger in St. Charles bleiben. Ich erwarte von Ihnen das Versprechen, daß Sie uns folgen werden. Wir suchen unsere Freunde wieder auf, finden Ihren Sohn wieder, und ihm gegenüber werd’ ich wiederholen, was ich Ihnen soeben gesagt, und was ich für eine die Vorurtheile der Menschen weit überwiegende Wahrheit halte, deren Quelle in meinem Herzen liegt. – Hab’ ich Ihr Versprechen, Frau Bridget?
– Ich werde von hier fortgehen, Clary de Vaudreuil.
– Mit meinem Vater und mit mir?…
– Ja, und doch wär’s besser, mich in der Fremde an Unglück und Schande ruhig sterben zu lassen.«
Clary mußte Bridget, die schluchzend zu ihren Füßen lag, emporrichten.
Am Abend des folgenden Tages hatten alle Drei das geschlossene Haus verlassen.
Vierundzwanzig Stunden später, auf der Insel Navy, vernahmen sie die für die nationale Sache so schmerzliche Neuigkeit:
Johann ohne Namen sei durch den Polizeihauptmann Comeau gefangengenommen und nach dem Fort Frontenac gebracht worden.
Dieser letzte Schlag vernichtete Bridget. Was aus Joann geworden, wußte sie nicht; was Johann erwartete – das wußte sie nur zu gut… Ihm drohte der Tod in allernächster Zeit.
»Ach, wenn wenigstens Niemand erfährt, daß sie die Söhne Simon Morgaz’ sind!« murmelte sie.
Nur Fräulein de Vaudreuil allein kannte dieses Geheimniß. Doch was hätte sie sagen können, um Bridget zu trösten?
An dem Schmerze, den sie beim Eintreffen jener Nachricht empfand, fühlte Clary nur zu deutlich, daß ihre Liebe zu Johann keine Einbuße erlitten habe. Sie sah in ihm nichts Anderes als den glühenden, dem Tode geweihten Patrioten.
Die Gefangennahme Johanns ohne Namen hatte übrigens im Lager der Insel Navy große Entmuthigung erzeugt, und auf diese Wirkung rechnete die Regierung ganz besonders, als sie jene Nachricht möglichst geräuschvoll verbreitete. Sobald dieselbe nach Chippewa gelangte, gab der Oberst Mac Nab Befehl, sie in der ganzen Provinz bekanntzumachen.
Wie war diese Kunde auch über die canadische Grenze gekommen?… Davon hatte Niemand eine Ahnung. Ganz unerklärlich schien es obendrein, daß sie auf der Insel Navy sogar noch eher bekannt war als im Dorfe Schlosser. – Doch änderte das ja nichts an der Sachlage.
Leider war jene Verhaftung nur zu gewiß, und Johann ohne Namen mußte zu der Stunde fehlen, wo das Schicksal Canadas sich auf dem letzten Schlachtfelde entscheiden sollte.
Gleich nach Bekanntwerden der Gefangennahme wurde im Laufe des 11. December eine Berathschlagung abgehalten.
Mit Vincent Hodge, André Farran und William Clerc wohnten derselben die hervorragendsten Anführer bei.
Herr de Vaudreuil, als Befehlshaber des Lagers auf der Insel Navy, führte dabei den Vorsitz.
Vincent Hodge äußerte sich zunächst in dem Sinne, ob es nicht möglich sei, Johann ohne Namen durch einen Gewaltstreich zu befreien.
»In Fort Frontenac ist er eingeschlossen, sagte er; die Garnison dieses Forts ist nur schwach an Zahl, und so etwa hundert entschlossene Männer würden sie zwingen können, sich zu ergeben. Es erscheint mir nicht unmöglich, das binnen vierundzwanzig Stunden auszuführen.
– Vierundzwanzig Stunden, wiederholte Herr de Vaudreuil. Vergessen Sie denn ganz, daß Johann ohne Namen schon verurtheilt war, ehe man ihn gefangen hatte? Mindestens noch in dieser Nacht oder in höchstens zwölf Stunden müßten wir in Frontenac sein, um etwas ausrichten zu können.
– Wir werden dort sein, erklärte Vincent Hodge. Längs des Ontario-Flusses kann uns kein Hinderniß aufhalten bis zur Grenze des St.
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