Die Familie ohne Namen
Farran ankündigte… Das war nicht der Fall; die Schriftzüge beider Briefe ließen keine Aehnlichkeit erkennen – was Fräulein de Vaudreuil ihrem Vater erklärte.
»Sie haben auch keine Muthmaßung, Herr Nick, fragte sie, wer der Unterzeichner dieses Briefes, der sich unter den einfachen Buchstaben »J. B. J.« verbirgt, sein könnte?
– Gar keine, liebes Fräulein Clary.
– Und doch kann es nicht das erste Mal sein, daß Sie mit dieser Persönlichkeit in Beziehung treten?
– Offenbar nicht.
– Oder vielmehr mit diesen Personen, denn der Brief spricht nicht von »meiner« sondern von »unserer« Abrechnung – was darauf schließen läßt, daß jene drei Anfangsbuchstaben drei verschiedenen Namen angehören.
– So scheint es, bestätigte Meister Nick.
– Ich möchte auch bemerken, sagte Herr de Vaudreuil, daß Sie, da ja von einer Abrechnung die Rede ist, schon früher über Geldmittel derselben Personen verfügt haben dürften…
– Herr de Vaudreuil, versetzte der Notar, hören Sie kurz, was ich Ihnen hierauf sagen kann und, wie mir scheint, hierüber sagen darf.«
Er nahm sich ein wenig Zeit, ehe er zu weiterer Erklärung kam, und da berichtete Meister Nick dann Folgendes:
»Im Jahre 1825, einen Monat nach dem Todesurtheil, welches einigen Ihrer vertrautesten Freunde das Leben, und Ihnen, Herr de Vaudreuil, die Freiheit raubte, erhielt ich einen großen Brief mit Wertheinlage, der die ungeheure Summe von hunderttausend Piastern enthielt. Der betreffende Brief war in Quebec zur Post gegeben und enthielt noch ein zweites Schreiben folgenden Wortlautes:
Der Betrag von hunderttausend Piastern wird hiermit in die Hand des Meisters Nick, Notars in Montreal, niedergelegt, am davon den Gebrauch zu machen, über den ihm später weitere Bestimmungen zugehen werden. Man rechnet auf seine Discretion, Niemandem von dem in seine Verwahrung gegebenen Dépot, noch von dem Gebrauch zu sprechen, der in Zukunft davon gemacht werden könnte.«
– Und die Unterschrift? fragte Clary.
– Die Unterschrift lautete ebenfalls J. B. J., antwortete Meister Nick.
– Dieselben Anfangsbuchstaben?… sagte Herr de Vaudreuil.
– Genau dieselben? wiederholte Clary.
– Ja, mein Fräulein. Wie Sie sich leicht vorstellen können, fuhr der Notar fort, war ich im höchsten Maße erstaunt über die geheimnißvolle Seite dieser Hinterlegung. Da ich die Summe dem mir unbekannten Clienten, der sie mir geschickt, doch nicht zurücksenden konnte, und ich andererseits Anstand nahm, den Behörden von der Sache Mittheilung zu machen, so hinterlegte ich wieder jene hunderttausend Piaster bei der Bank von Montreal und beschloß ruhig zu warten.«
Clary und ihr Vater hörten dem Meister Nick mit gespanntester Aufmerksamkeit zu. Der Notar hatte ja gesagt, daß dieses Geld seiner Meinung nach eine politische Bestimmung haben könne. Wie der Leser bald sehen wird, sollte er sich auch nicht getäuscht haben.
»Sechs Jahre später, fuhr er fort, wurde von mir durch einen, mit denselben räthselhaften Buchstaben unterschriebenen Brief die Summe von zweiundzwanzigtausend Piastern verlangt, und das Ersuchen ausgesprochen, dieselben nach dem Flecken Berthier, in der Grafschaft gleichen Namens, zu adressiren.
– Ja, aber an wen?… fragte Herr de Vaudreuil.
– An den Vorsitzenden des Reformer-Comités, und nach kurzer Zeit brach die Revolte aus, die Sie ja kennen. Vier Jahre gingen dahin, da traf ein gleicher Brief ein, welcher die Summe von achtzehntausend Piastern nach St. Martine, dieses Mal an den Vorsitzenden des Comités von Châteaugay, verlangte. Nur wenig später entstand die heftige Bewegung, welche bei den Wahlen von 1834 zu Tage trat, die Vertagung der Kammer zur Folge hatte, und der das Verlangen, den Gouverneur Lord Aylmer in Anklagestand zu versetzen, auf dem Fuße folgte.«
Herr de Vaudreuil überdachte einige Augenblicke das, was er von dem Notar hörte, und wandte sich dann an diesen mit den Worten:
»Sie erkennen also, mein lieber Nick, sagte er, einen inneren Zusammenhang zwischen jenen verschiedenen Ereignissen und der Absendung des Geldes an die Reformer-Comités?…
– Ich, Herr de Vaudreuil, erwiderte Meister Nick, ich erkenne nicht das Geringste! Ich bin ja kein Politiker!… Nichts weiter, als ein einfacher, rechtskundiger Diener Jedermanns, der meine Hilfe in Anspruch nimmt. Ich habe nichts Anderes gethan, als die Summe, die mir in Verwahrung gegeben war, entsprechend den mir ertheilten Weisungen
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