Die Familie ohne Namen
verabreden. Wahrscheinlich mußten also Vincent Hodge, Farran und Clerc einen ähnlich lautenden Brief erhalten haben, der sie erst nach der Villa Montcalm einlud; doch lag die Befürchtung nahe, daß hierhinter vielleicht ein Angriff der Polizei zu suchen war. Ein solches Mißtrauen schien seit der Geschichte mit Simon Morgaz vollständig gerechtfertigt.
Herrn de Vaudreuil blieb auf jeden Fall nichts übrig, als der Dinge zu warten, die da kommen sollten. Waren Vincent Hodge, Farran und Clerc in der Villa eingetroffen – wenn sie überhaupt dahin kamen – so würden sie ihm ohne Zweifel erklären, was ihm bei dieser seltsamen Zusammenkunft noch unerklärlich blieb. Dahin ging der Rath Clarys, als sie von jenem Briefe Kenntniß erhalten hatte.
Die Augen auf das geheimnißvolle Schreiben geheftet, prüfte sie dasselbe mit größter Aufmerksamkeit. Wunderbar! Wo ihr Vater eine seinen politischen Freunden und ihm gestellte Falle witterte, schien sie vielmehr an einen bevorstehenden mächtigen Eingriff in die nationale Sache zu glauben. Vielleicht zeigte sich jetzt endlich die Hand, welche die Fäden einer neuen Bewegung hielt, welche diese leiten und zu Ende führen sollte.
»Lieber Vater, sagte sie, ich habe volles Vertrauen!«
Da die Versammlung indeß erst für den Abend bestimmt war, wollte Herr de Vaudreuil sich vorher noch nach Laval begeben. Vielleicht vernahm er dort eine Nachricht, welche die Dringlichkeit der geplanten Versammlung erklärte. Gleichzeitig konnte er daselbst Vincent Hodge und dessen beide Freunde empfangen, wenn diese an der Landungsbrücke der Insel Jesus ausstiegen. In der Minute aber, wo er Auftrag geben wollte, anzuspannen, meldete ihm ein Diener, daß soeben ein Besucher der Villa Montcalm eingetroffen sei.
»Wer ist es? fragte Herr de Vaudreuil lebhaft.
– Hier seine Karte,« antwortete der Diener.
Herr de Vaudreuil nahm die Karte in Empfang, las den Namen derselben und rief sogleich:
»Ah, der vortreffliche Meister Nick?… Er ist stets willkommen. Lass’ ihn eintreten.«
Einen Augenblick später stand der Notar Herrn de Vaudreuil und dessen Tochter gegenüber.
»Sie, Herr Nick? sagte Herr de Vaudreuil.
– In Person, und bereit, Ihnen ebenso wie dem Fräulein Clary zu dienen!« antwortete der Notar verbindlich.
Er drückte die Hand des Herrn de Vaudreuil, nachdem er das junge Mädchen mit einer mehr förmlichen Verbeugung begrüßt, wie sie die früheren Geschichtschreiber nach alter Ueberlieferung bewahrt hatten.
»Das ist ja ein recht unerwarteter, doch deshalb um so angenehmerer Besuch, Herr Nick, nahm Herr de Vaudreuil wieder das Wort.
– Angenehm, vorzüglich für mich, antwortete Herr Nick. Und wie befinden Sie sich, mein Fräulein?… Und Sie, Herr de Vaudreuil?… Sie haben Beide ein blühendes Aussehen. – Nun ja, in der Villa Montcalm mag sich’s ja gut leben. Ich möchte in mein Haus am Bon-Secours-Markte wohl etwas von der Luft, wie man sie hier athmet, mitnehmen.
– Jede beliebige Menge davon steht Ihnen zur Verfügung, Herr Nick. Besuchen Sie uns nur öfter…
– Und bleiben Sie gleich einige Tage hier, setzte Clary hinzu.
– Und meine Expedition… meine Acten! rief der zungenfertige Notar. Ach, die lassen mir keine Zeit zu einem angenehmen Landaufenthalt… Die Testamente wären daran weniger Schuld. Die Leute in Canada werden so schrecklich alt, daß ich fürchte, sie hören überhaupt einmal auf zu sterben. Was haben wir an Achtzigjährigen und sogar an Hundertjährigen!… Das überschreitet die gewohnten Grenzen der Statistik…. Die Heiratscontracte dagegen, ja, die machen mir mehr zu schaffen! – Doch halt, in sechs Wochen habe ich in Laprairie zu thun bei einem meiner Klienten – einem meiner guten Klienten, das dürfen Sie glauben – wo der Contract seines neunzehnten Sprößlings aufgesetzt werden soll.
– Das muß ja, ich möchte darauf wetten, mein Pächter Thomas Harcher sein, antwortete Herr de Vaudreuil.
– Ganz recht, und in Ihrem Pachthofe zu Chipogan ist es, wo ich erwartet werde.
– Eine recht hübsche Familie, Herr Nick!
– Ohne Zweifel, Herr de Vaudreuil, und bedenken Sie, daß ich mit den, dieselbe betreffenden Urkunden immer noch nicht zu Ende bin.
– Nun, Herr Nick, fiel Clary ein, es ist nicht unmöglich, daß wir Sie im Pachthofe von Chipogan treffen. Thomas Harcher bestand so dringlich darauf, uns der Vermählung seiner Tochter beiwohnen zu sehen, daß wir, mein Vater und ich, wenn uns nichts Besonderes
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