Die Familie ohne Namen
lange mehr dauern. In diesem Augenblick lassen Sie uns die Zukunft um der Gegenwart willen vergessen. Das ist eine Art Waffenstillstand, eine Ruhestunde vor der Schlacht. Hier, Herr de Vaudreuil, bin ich ja nur der Adoptivsohn dieser braven, ehrenwerthen Familie.«
Der Zug war am Ziel. Kaum vermochte die kleine Kirche die Menge zu fassen, die unterwegs noch weiter angewachsen war.
Der Pfarrer stand auf der Schwelle, nahe der bescheidenen Steinschale, welche zu den Tauffeierlichkeiten der unzähligen Neugebornen des Kirchspiels diente.
Thomas Harcher präsentirte mit gerechtem Stolze den sechsundzwanzigsten, aus seiner Ehe mit der nicht weniger stolzen Catherine hervorgegangenen Sprößling.
Clary de Vaudreuil und Johann nahmen nebeneinander Platz, während der Pfarrer die übliche Salbung vornahm.
»Und wie soll er heißen? fragte er.
– Johann, wie sein Pathe,« antwortete Thomas Harcher, der dem jungen Mann die Hand entgegenhielt.
Es ist zu bemerken, daß die alten französischen Gebräuche sich in den Städten wie auf dem Lande in der Provinz Canada noch heute erhalten haben. Vorzüglich in den ländlichen Gemeinden rühren die Einnahmen des katholischen Clerus nur aus dem Zehent her. Dieser beträgt den sechsundzwanzigsten Theil aller Früchte und Ernteergebnisse. In Folge einer ebenso merkwürdigen wie rührenden Ueberlieferung erstreckt sich dieses Recht des Zehenten aber nicht allein auf die Früchte des Feldes.
Thomas Harcher verwunderte sich also gar nicht, als der Pfarrer nach vollendeter Taufe mit lauter Stimme sagte:
»Dieses Kind gehört der Kirche. Thomas Harcher – wenn es der Täufling des Pathen und der Pathin ist, die Sie für dasselbe erwählt haben, so ist es nicht weniger auch mein Mündel. Bilden die Kinder nicht gewissermaßen auch ein Ernteerzeugniß der Familie? Nun, ebenso wie Sie mir jede sechsundzwanzigste Getreidegarbe ausgeliefert haben würden, ebenso macht die Kirche auf dieses Ihr sechsundzwanzigstes Kind Anspruch.
»Wir erkennen das Recht derselben an, Herr Pfarrer, antwortete Harcher, und meine Frau und ich, wir unterwerfen uns ohne Widerrede.«
Das Kind wurde darauf nach dem Pfarrhause getragen und dort triumphirend aufgenommen.
Nach den Satzungen, betreffend den Zehent, gehörte der kleine Johann der Kirche an und als solcher hatte seine Erziehung auf Kosten des ganzen Kirchspiels zu erfolgen.
Und als der Festzug sich wieder in Bewegung setzte, um nach der Farm von Chipogan zurückzukehren, da erschallten Freudenrufe aus Hunderten von Kehlen zur Ehre des wackeren Thomas und der Catherine Harcher.
Fußnoten
1 Spottname, den die Canadier gewissen Wilden des Westens beilegen.
Elftes Capitel.
Der Letzte der Sagamores.
Am folgenden Tage begannen die Feierlichkeiten von Neuem. Wiederum begab sich, schon in früher Stunde, ein Zug nach dem Kirchlein, der auf dem Hin-wie auf dem Rückwege sich des gleichen Empfanges erfreute.
Die jungen Leute, Clemens und Cäcilie Harcher, der Erstere im schwarzen Rocke, in dem er wie ein kleiner Herr aussah, die Andere in dem weißen Kleide, das sie wie eine Braut schmückte, standen in erster Reihe der aus den benachbarten Farmen herbeigeströmten Communicanten. Wenn die anderen »Bewohner« auch nicht so reich an Nachkommenschaft waren, wie Thomas Harcher und Catherine, so hatten sie doch Alle eine recht ansehnliche Zahl Sprößlinge. Die Grafschaft Laprairie schien offenbar von dem Segen des Herrn überhäuft, und in dieser Beziehung konnte sie sich zweifellos mit den fruchtbarsten Gegenden von Neu-Schottland messen.
An diesem Tage sah Pierre den Fremden nicht wieder, dessen Anwesenheit ihn gestern einigermaßen beunruhigte. Der Agent war wirklich wieder fort. Ob er etwas bezüglich Johanns ohne Namen entdeckt hatte, und deshalb nach Montreal gegangen war, um dem Polizeichef Bericht zu erstatten, das wird der Leser bald erfahren.
Nach der Farm heimgekehrt, hatte die Familie sich nur noch zum Frühstück niederzusetzen. Dank der vielfachen Ermahnungen, welche Thomas Harcher von Catherine zu Theil geworden waren, stand Alles in bester Bereitschaft. Der folgsame Mann hatte sich nacheinander mit der Tafel, mit der Speisekammer, dem Keller und der Küche beschäftigen müssen, natürlich unterstützt von seinen Söhnen, die von den mütterlichen Befehlen ihren guten Theil erhalten hatten.
»Es ist ganz gut, sie daran zu gewöhnen, wiederholte Catherine gern. Dann wird es ihnen selbstverständlich vorkommen, wenn sie einmal eine
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