Die Familie ohne Namen
Farm von Chipogan verlassen, und kehre nicht eher zurück, als bis die Stunde des Kampfes schlägt… Dann werd’ ich mich nicht mehr zu verbergen brauchen.«
Das Gesicht Johanns ohne Namen, in dem eine augenblickliche Begeisterung aufleuchtete, nahm sofort wieder die gewohnte Ruhe an.
Clary blickte ihn mit unbeschreiblichem Ausdrucke von Traurigkeit an. Sie wäre gern tiefer in das Leben dieses jungen Patrioten eingedrungen. Doch wie sollte sie ihn fragen, ohne ihn durch indiscrete Zudringlichkeit zu verletzen?
Nachdem sie ihm jedoch die Hand gereicht, die er kaum berührte, sagte sie:
»Johann, verzeihen Sie, wenn meine Theilnahme für Sie mich aus der Zurückhaltung heraustreten läßt, die ich eigentlich bewahren sollte… In Ihrem Leben gibt es ein Geheimniß… eine unglückliche Vergangenheit!… Johann, Sie haben wohl viel gelitten?…
– Sehr viel,« bestätigte Johann.
Und als ob dieses Zugeständniß ihm wider Willen entschlüpft wäre, setzte er sofort hinzu:
»Ja, viel gelitten… weil ich meinem Vaterlande das noch nicht habe darbringen können, was es von mir zu erwarten ein Recht hat.
– Ein Recht, etwas zu erwarten… wiederholte Fräulein de Vaudreuil, ein Recht, etwas von Ihnen zu erwarten?…
– Ja, von mir, antwortete Johann, wie von allen Canadiern, deren heilige Pflicht es ist, sich zum Opfer zu bringen, um ihrem Lande die Unabhängigkeit wieder zu geben.«
Das junge Mädchen hatte durchschaut, daß sich unter diesem Ausbruche von Patriotismus noch andere Qualen verbargen. Sie hätte seine Schmerzen so gern kennen gelernt, um sie zu theilen, vielleicht zu mildern… Doch was konnte Clary thun, da Johann sich nur auf ausweichende Antworten beschränkte? Immerhin glaubte Clary, ohne die Zurückhaltung, welche ihr die Lage des jungen Mannes auferlegte, aus den Augen zu setzen, noch hinzufügen zu sollen:
»Ich habe die beste Hoffnung, Johann, daß die nationale Sache bald siegen werde!… Diesen Sieg wird sie vor Allem Ihrer Opferfreudigkeit, Ihrem Muthe und dem Feuereifer verdanken, den Sie den Anhängern derselben eingehaucht haben. Dann haben Sie das Recht auf deren Erkenntlichkeit…
– Auf ihre Erkenntlichkeit, Clary de Vaudreuil? antwortete Johann, der mit rascher Bewegung von ihrer Seite weg trat. Nein… Nimmermehr!
– Niemals?… Wenn die französischen Canadier, welche Sie, nur Sie, wieder befreit haben, von Ihnen erwarten, daß Sie an ihrer Spitze bleiben…
– So würde ich das abschlagen.
– Das werden Sie nicht können!…
– Ich würde es abschlagen, sage ich Ihnen!« wiederholte Johann in so bestimmtem Tone, daß Clary nichts mehr darauf zu erwidern wagte. Dann fuhr er mit weicherer Stimme fort:
»Clary de Vaudreuil, wir können die Zukunft nicht voraussehen; ich hoffe jedoch, daß die Ereignisse sich zum Vortheile unserer Sache wenden werden.
Für mich aber wäre es das Beste, ich fiele bei der Vertheidigung derselben auf dem Schlachtfelde…
– Fallen… Sie!… rief das junge Mädchen, dem die schönen Augen feucht wurden. Fallen auf dem Schlachtfelde, Johann!… Und Ihre Freunde?…
– Freunde!… Ich… und Freunde!« stieß Johann hervor.
Seine Haltung und Erscheinung war dabei ganz die eines Unglücklichen, den ein ganzes Leben voll Schmach in den Bann der Menschheit gethan hat.
»Johann, nahm Fräulein de Vaudreuil wieder das Wort, Sie haben einst entsetzlich gelitten und leiden noch immer sehr schwer. Und was Ihre Lage noch schmerzlicher macht, ist, daß Sie sich Niemand anvertrauen können… nein, nicht anvertrauen wollen… Nicht einmal mir, die so gern an Ihren Schmerzen Antheil nähme!… Nun wohl, ich werde zu warten wissen und verlange von Ihnen nichts weiter als das Eine… an meine Freundschaft zu glauben…
– Ihre Freundschaft!«… murmelte Johann.
Er wich dabei einige Schritte zurück, als ob schon seine Freundschaft allein dieses reine junge Mädchen hätte beflecken müssen.
Und doch der einzige Trost, der ihm geholfen hatte, diese schreckliche Existenz zu ertragen, war es nicht der, den ihm die schöne Vertraulichkeit Clarys de Vaudreuil gewährte? Während jenes kurzen Aufenthaltes in der Villa Montcalm hatte er es ja gefühlt, wie die warme Theilnahme, die er ihr einflößte und für sie selbst empfand, sein ganzes Herz erfüllte… Doch nein! Es war unmöglich!… Der Unglückselige!… Wenn Clary jemals erfuhr, wessen Sohn er war, so mußte sie ihn entsetzt von sich stoßen… Ein Morgaz!… Wie er seiner Mutter
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