Die Familie ohne Namen
das Haus Ihres Herrn Vaters dürfte besonders scharf überwacht sein, antwortete Johann, und in seinem Interesse erscheint es rathsamer, daß Niemand seine Beziehungen zu Anderen kennen lernt.
– Sie können doch aber kaum daran denken, in Montreal Unterkommen zu suchen?
– Nein, obwohl es leichter sein dürfte, einer etwaigen Verfolgung inmitten einer großen Stadt zu entschlüpfen. Ich bin mehr in Sicherheit in der Wohnung des Herrn Vincent Hodge, der Herren Farran oder Clerc, als in der Villa Montcalm…
– Doch keines freundschaftlicheren Empfangs versichert! antwortete das junge Mädchen.
– Das weiß ich, und werde niemals vergessen, daß Sie und Ihr Herr Vater mich während der wenigen Stunden meines Verweilens bei Ihnen wie einen Sohn, wie einen Bruder behandelt haben.
– Wie es unsere Pflicht war, erwiderte Clary. Durch dasselbe Vaterlandsgefühl verbunden zu sein, ist doch wohl ebensoviel werth, wie Bande des Bluts! – Mir kommt es stets so vor, als hätten Sie von jeher unserer Familie angehört. Und da Sie nun gar so allein in der Welt dastehen…
– Allein in der Welt, wiederholte Johann gesenkten Kopfes. Ja, allein… allein!
– O, mit dem Siege unserer Sache wird dieses Haus auch das Ihrige sein. Bis dahin begreife ich, daß Sie ein sichereres Obdach suchen als die Villa Montcalm. Sie werden ein solches auch finden; denn welche canadische Wohnung würde sich vor einem Verfolgten verschließen?…
– Nein, gewiß nicht… ich weiß es, unterbrach sie Johann, und Keiner wird schamlos genug sein, mich zu verrathen…
– Sie verrathen! rief Fräulein de Vaudreuil… Nein!… Die Zeit der Verräther ist vorüber. In ganz Canada würde man man keinen Black und keinen Simon Morgaz mehr finden!«
Bei diesem mit dem Ausdrucke von Abscheu genannten Namen stieg dem jungen Manne die Schamröthe ins Gesicht, und er mußte sich abwenden, um seine Erregung zu verbergen. Clary de Vaudreuil hatte es nicht gleich bemerkt, doch als Johann sich ihr wieder zuwandte, zeigte sein Gesicht so deutlich den Stempel tiefen Seelenleidens, daß sie geängstigt ausrief:.
»Mein Gott! – Was ist Ihnen denn?…
– Nichts!… Es ist nichts! versicherte Johann. Etwas Herzklopfen, woran ich zuweilen leide!… Mir ist’s dann, als sollte mein Herz zerspringen; jetzt ist schon Alles vorbei!«
Clary sah ihn mit langem Blicke an, als wollte sie in der Tiefe seiner Seele lesen.
Hierauf begann er, um diesem für ihn so peinlichen Gespräche eine andere Wendung zu geben:
»Am rathsamsten wird es sein, ich ziehe mich nach einem Dorfe der benachbarten Grafschaften zurück, wo ich in Verbindung mit Herrn de Vaudreuil bleiben kann!
– Ohne daß Sie sich jedoch aus Montreal entfernen, bemerkte Clary.
– Nein, antwortete Johann, denn in den nächstgelegenen Kirchspielen wird der Aufstand jedenfalls zuerst ausbrechen. Uebrigens kommt nicht so viel darauf an, wohin ich gehe.
– Vielleicht, fuhr Clary fort, böte Ihnen die Farm von Chipogan noch das sicherste Obdach?
– Ja… vielleicht!…
– Es wäre doch schwierig, Sie unter der zahlreichen Familie unseres Pächters herauszufinden.
– Gewiß, doch wenn das geschähe, so könnte es für Thomas Harcher sehr unangenehme Folgen haben. Er weiß ja nicht, daß ich Johann ohne Namen bin, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt ist…
– Glauben Sie etwa, bemerkte Clary lebhaft, er würde, wenn er das heute noch erführe, sich überlegen…
– Nein, gewiß nicht, bestätigte Johann. Seine Söhne, wie er selbst, sind die besten Patrioten. Ich habe davon so manche Beweise gehabt, als wir unsere Agitationsreise zusammen machten. Ich möchte aber nicht, daß Thomas Harcher das Opfer seiner Zuneigung zu mir würde; und fände mich die Polizei bei ihm, so würde man auch ihn verhaften… Nein, nein!… Eher lieferte ich mich selbst aus!
– Sie sich ausliefern!« flüsterte Clary mit einer Stimme, welche ihre schmerzlichen Empfindungen deutlich genug verrieth.
Johann ließ den Kopf herabsinken. Er verstand recht wohl, welcher Art das Gefühl war, dem er sich gegen seinen Willen hingab; er empfand es, welches Band ihn mehr und mehr an Clary de Vaudreuil fesselte. Die Liebe eines Sohnes Simon Morgaz’!… Welche Schmach!… Und welche Falschheit, daß er ihr nicht gesagt hatte, aus welcher Familie er stammte… Nein, er mußte sie fliehen, durfte sie niemals wiedersehen… Und als er seiner wieder mehr Herr geworden, fuhr er fort:
»Morgen in der Nacht werd’ ich die
Weitere Kostenlose Bücher