Die Familie ohne Namen
seinen Schreiber. Muß ich denn Alles zehnmal sagen?«
Nein, es genügte schon ein einziges Mal, und der Farmer beeilte sich, begleitet von dreien seiner Töchter, nach der Speisekammer zu laufen.
Inzwischen hatte sich Meister Nick, als er Clarys de Vaudreuil ansichtig wurde, dieser genähert.
»Ah, mein liebes Fräulein, begrüßte er sie, bei meinem letzten Besuche in der Villa Montcalm hatten wir ein Rendez-vous in der Farm zu Chipogan verabredet, und ich schätze mich glücklich…«
Catherine gab ihren elf Töchtern ein Zeichen, ihre Reverenz zu machen. (S. 183.)
Da wurden die Worte des Notars durch einen Ausruf Lionels unterbrochen, der alle Ursache hatte, verwundert zu sein; sah er sich doch plötzlich gegenüber dem jungen Unbekannten, der einige Wochen früher seine dichterischen Versuche so wohlwollend beurtheilt hatte.
»Da… dieser Herr… Herr…« rief er wiederholt.
Von lebhafter Unruhe ergriffen, sahen Herr de Vaudreuil und Clary einander an. Wie kam es, daß Lionel Johann kannte? Und wenn er ihn kannte, wußte er auch, was die Familie Harcher noch nicht wußte, das heißt, daß die Farm Johann ohne Namen, den die Beamten Gilbert Argall’s im ganzen Lande suchten, Obdach gab?
»Ja, wahrhaftig, sagte jetzt auch der Notar, der sich nach dem jungen Manne umwandte; ich erkenne Sie wieder, mein Herr!… Sie waren ja unser Gesellschafter bei jener Fahrt, wo ich mit meinem Schreiber den Omnibus benützte – es war gegen Anfang September – um nach der Villa Montcalm zu gehen.
– Gewiß bin ich das, Herr Nick, antwortete Johann, und Sie dürfen glauben, daß ich Sie, ebenso wie unseren jungen Poeten, auf der Farm von Chipogan mit größtem Vergnügen wiederfinde…
– Ah, mit einem jungen Poeten, dessen Gedicht in der Freundes-Lyra durch ehrenvolle Erwähnung ausgezeichnet wurde. Entschieden ist es ein Schoßkind der Musen, den ich die Ehre habe, in meiner Expedition sitzen zu sehen, um Acten zu kritzeln.
– Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch, junger Freund, sagte Johann. Ich habe Ihre reizenden Schlußworte:
Mit Dir entstehn, Du Wandelflamme,
Mit Dir vergehn, Du irrend Licht!
keineswegs vergessen.
– O, Sie sind zu gütig!« antwortete Lionel sehr stolz wegen der Lobsprüche, die seine noch im Gedächtnisse eines wirklichen Kenners verbliebenen Verse ihm einbrachten.
Mit der Wahrnehmung dieses Austausches von Höflichkeiten fühlten sich Herr und Fräulein de Vaudreuil wegen des jungen Proscribirten völlig beruhigt. Meister Nick erzählte ihnen dann noch, unter welchen Umständen sie sich auf dem Wege von Montreal nach der Insel Jesus getroffen, und Johann wurde ihm wieder als Adoptivsohn der Familie Harcher vorgestellt. Diese gegenseitigen Erklärungen endigten mit den gewohnten Händedrücken.
Inzwischen rief Catherine mit befehlerischem Tone:
»Nur schnell, Thomas!… Schnell!… Ihr werdet auch niemals fertig!… Die beiden Toddys! Willst Du denn Herrn Nick und Herrn Lionel gar vor Durst sterben lassen?…
– Ist schon Alles bereit, Catherine, Alles fix und fertig. Mach’ Dir nur keine Sorge!…«
Und auf der Schwelle erscheinend, lud Thomas Harcher den Notar ein, ihm ins Eßzimmer zu folgen.
Wenn Meister Nick sich hierzu nicht bitten ließ, so galt das bezüglich Lionels noch viel weniger.
Im Eßzimmer nahmen sie Einer neben dem Anderen Platz an einem großen Tische mit vielen buntfarbigen Tassen darauf, neben welchen schöne weiße Servietten lagen, und stärkten sich mit dem bewußten Toddy – ein sehr angenehmes Getränk, das aus Wachholder, Zucker und Zimmt besteht und dem gewöhnlich ein appetitlicher Imbiß beigegeben wird. Diese Zulage versprach denn zu erlauben, daß Beide die Essensstunde, ohne Gefahr schwach zu werden, abwarten konnten.
Hierauf beschäftigte sich Jedermann mit den letzten Vorbereitungen zu dem großen Feste des nächsten Tages, von dem in der Farm zu Chipogan gewiß sehr lange gesprochen werden sollte.
Meister Nick ging unablässig von Einem zum Andern. Er hatte ein freundliches Wort für Jeden, während Herr de Vaudreuil, Clary und Johann sich, unter den Bäumen des Gartens lustwandelnd, von ernsten Dingen unterhielten.
Gegen fünf Uhr versammelten sich Alle, Anverwandte und Gäste, im großen Saale zur Unterzeichnung des Heiratscontractes. Selbstverständlich mußte Meister Nick bei dieser wichtigen Feierlichkeit den Vorsitz führen, und es läßt sich gar nicht wiedergeben, mit welcher Würde und
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