Die Familie: Roman (German Edition)
Petroleumlampe ab. Brad gab ihm die Spitzhacke. »Ich warte draußen. Viel Glück.« Er drückte im Vorbeigehen kurz Chris’ Arm. Sie blickte ihm über Hanks Schulter nach. Nach einem Augenblick verschwand er hinter einer Kurve im Flussbett. Das Platschen seiner Schritte verklang.
»Bist du dir sicher?«, fragte Hank.
Sie sah ihm in die Augen und nickte.
Hank lächelte. »Mehr Mut als Verstand.«
»Das gilt für uns beide.« Hank hob die Spitzhacke. Er hielt sie mit beiden Händen vor der Brust – wie ein Gewehr, dachte Chris.
Sie senkte den Blick zum Wasser zu ihren Füßen und wandte sich um.
Es funktionierte nicht ganz. Am Rand ihres Blickfelds nahm sie die makabren stillen Wachtposten zu beiden Seiten des Flusses wahr.
Sie ging schnell. Hank blieb an ihrer Seite.
»O Gott«, murmelte Hank. »Das hört nicht auf.«
Sie sah es. Aber der Schrecken war unbestimmt, nur vage Umrisse an der Peripherie ihrer Wahrnehmung.
»Wie ein gottverdammter Spießrutenlauf«, sagte Hank.
»Wer könnte das getan haben?«
»Niemand, der noch ganz richtig im Kopf ist.«
»Glaubst du, derjenige weiß, dass wir hier sind?«
»Wenn er hier ist, weiß er es wahrscheinlich. Dann hat er bestimmt gehört, wie wir die Mauer eingeschlagen haben. Aber ich kann mir nicht vorstellen … Es kann doch niemand hier drin leben . Es muss einen versteckten Eingang geben. Wer auch immer es ist, er bringt wahrscheinlich seine Opfer rein, macht sein Ding und verschwindet.«
»Ethan Mordock?«, fragte Chris.
»Mein Gott, natürlich. Wenn diese … Schweinerei da hinten Amy Lawson war …«
»Auch dann, wenn sie es nicht war. Mordock gehörte das Hotel und die Höhle. Er hatte Zugang – nicht nur zur Höhle, sondern auch zu den Hotelgästen. Und es ist ziemlich offensichtlich, dass er etwas mit dem Verschwinden von Amy Lawson zu tun hatte.«
»Die Gäste checken ein«, sagte Hank, »aber sie checken nicht aus. Einige jedenfalls nicht.«
»Wahrscheinlich junge Frauen, die allein anreisen. Sie enden hier unten.«
»Das könnte schon seit Jahren so gehen.«
»Und Mordock ist tot!« Chris packte Hanks Arm und wandte ihm ihr Gesicht zu. Sie sah dieselbe Erkenntnis und Erleichterung, die er wahrscheinlich in ihren Augen bemerkte. Und hinter seinem Kopf einen fleischlosen Schädel, der einen grünen Pillbox-Hut mit roter Feder trug.
Chris zuckte zusammen und senkte den Blick.
Sie gingen weiter.
»Wenn es Mordock war«, sagte Hank. »müssen wir uns keine Sorgen machen, dass irgendein Irrer über uns herfällt.«
»Gott sei Dank. Es ist so schon schlimm genug.«
»Wenn wir uns das ein bisschen früher überlegt hätten, wäre Brad vielleicht bei uns geblieben.«
»Wer braucht schon Brad«, meinte Chris.
Sie passierten eine Flussbiegung.
»Mordock war unheimlich«, sagte sie. »Schon an der Art, wie er Darcy und mich angesehen hat, habe ich gemerkt, dass mit ihm was nicht stimmt. Aber … Mein Gott, ich hätte nie geglaubt, dass er zu so einem Wahnsinn fähig ist. Man kann sich kaum vorstellen, dass irgendjemand Leichen nimmt und …«
»Wo wir gerade davon reden, ich sehe keine mehr. Ich glaube, wir haben sie hinter uns gelassen.«
Chris blickte auf. Der helle Schein der Laterne enthüllte einen Wald von Stalagmiten und Säulen auf beiden Seiten des Flusses. Gestein, sauber und glänzend, frei von Körperteilen. Sie schnüffelte. Der Verwesungsgestank war immer noch vorhanden, jedoch weniger erdrückend als zuvor. »Es geht aufwärts«, sagte sie.
»Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis wir zur Mauer kommen. Was eine neue Frage aufwirft. Ich beginne zu überlegen, ob wir die Leute auf diesem Weg rausbringen sollen.«
Chris hatte gesehen, wie die Leute Schlange gestanden und auf Darcys Führung gewartet hatten. Sie erinnerte sich, dass Frauen und mehrere Kinder darunter gewesen waren. »Es waren Kinder dabei«, sagte sie.
»Eines davon ist meine Tochter. Ich will nicht, dass sie Mordocks Werk zu Gesicht bekommt. Mein Gott. Sie kann ziemlich mutig sein, aber das würde ich niemandem wünschen. Das würde sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr aus dem Kopf bekommen.«
»Ich möchte das Zeug auch nicht noch einmal sehen.«
»Dann sollten wir uns etwas anderes ausdenken.«
»Wenn wir sie erst einmal erreicht haben, kommt es vielleicht nicht darauf an, sie sofort rauszubringen. Ich meine, das Wichtigste ist, zu Darcy und Paula zu kommen. Wenn wir bei ihnen sind und wissen, dass es ihnen gut geht, können wir einfach mit
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