Die Familie Willy Brandt (German Edition)
geheiratet, ein flotter, sportlicher Typ, der, wie Rut fand, einem Filmstar nicht unähnlich sah. Ole Bergaust hatte sich wie sie im norwegischen Widerstand engagiert und stammte ebenfalls aus Hamar. Doch der überstürzt geschlossenen Ehe waren weder Glück noch lange Dauer beschieden. Ole Bergaust erkrankt alsbald schwer an Tuberkulose, man muss ihm einen Lungenflügel entfernen, doch auch der zweite ist bereits stark angegriffen. Bergaust siecht langsam in einem Sanatorium dahin und beschwört Rut, die ihn besucht und schreibt, ihn nicht zu verlassen, doch sie kann sich nicht frei machen von den Gefühlen für Willy Brandt, und das Glück an dessen Seite überwiegt den akuten Gewissensschmerz. Sie wird sich selbst ein Leben lang anklagen, und der Vorwurf, sie habe ihren ersten Mann verlassen, als der sie brauchte, bleibt ihr erhalten und nagt an ihr mit unverbrüchlicher Treue. Ole Olstadt Bergaust stirbt 1946 in Falun. Rut Brandt wird, bevor sie selbst auf die letzte Reise geht, noch einmal zu ihm zurückkehren. Das ist aber ein späteres Leben und ein anderes Kapitel.
In den Jahren zwischen 1945 und 1948 sind Rut und Willy Brandt vielfach getrennt. Ein großes Hin und Her zwischen Schweden, Norwegen und Deutschland. Die Trennungen sind beruflich und familiär bedingt, aber die Zeit der Trennungen tragen auch die Zweifel heran, ob man sich »für immer« zusammentun soll. Niemals zuvor und niemals danach hat Willy Brandt, der ein Leben lang ein immens fleißiger, ja vielleicht ein rastloser Briefeschreiber gewesen ist, so viele Briefe geschrieben, und niemals hat er sich gegenüber einer Frau mehr geöffnet, als in diesen Briefen an Rut. Zwar übertritt er die letzte Schwelle nie, man hat immer das Gefühl, er lasse weiße Flecken auf der inneren Landkarte, aber er versucht aufrichtig, ihrer beider Beziehungsleben zu erkunden und herauszufinden, was der richtige Weg ist.
In ihrem Buch »Wer an wen sein Herz verlor« hat Rut Brandt zahlreiche Auszüge aus seinen Briefen präsentiert, wobei einer hervorsticht, weil es einer der offenherzigsten Briefe ist, die Willy Brandt jemals geschrieben hat, und weil er sich nicht, wie sonst oft, auf politische, sondern auf partnerschaftliche Entwicklungen konzentriert. Er sagt ungewohnt Ich und Du und Wir. Er schreibt im Januar 1947 aus Oslo (wo er auf sein Visum nach Deutschland wartet) nach Kopenhagen (wo Rut arbeitet): »Du, Rut, obwohl ich das nicht oft sage, habe ich Dich sehr lieb. Ich habe viel über uns nachgedacht. Wir haben schon früher darüber gesprochen, daß wir einen wenig glücklichen Start hatten. Wir mußten unseren Weg ja so gehen, daß er teilweise zu Lasten anderer ging – das ist zwar kein ungewöhnliches Problem, aber in jedem Fall ein Problem. Was mich betrifft, hat sich, wie ich zugebe, mehrmals eine Art schlechtes Gewissen gemeldet, besonders gegenüber Ninja, die ich, wie Du weißt, sehr lieb habe. Weil die Umstände so waren, wie sie waren, war es schwierig für uns, ganz ineinander aufzugehen, womit ich nicht sagen will, daß eine ideale Beziehung darin besteht, daß einer der Partner sein Ich aufgibt, ganz im Gegenteil. Aber ich frage mich, ob wir nicht zu ›vorsichtig‹ gewesen sind. Andererseits ließ sich wohl kaum vermeiden, daß die äußeren Umstände und nicht zuletzt meine ambulierende Existenz unserem Leben ein ziemlich hektisches Gepräge gaben. Wie die Dinge lagen, war es schwer zur Ruhe zu kommen. Keine Angst wegen dessen, was ich jetzt sage: Es gab Stunden, wo ich Bedenken hatte, mich erneut fest zu ›binden‹, ein Gefühl, das übrigens verschwindet, wenn ich auf Reisen bin und mich einfach nach Dir sehne. Warum soll ich nicht ehrlich zugeben, daß ich zu manchen Zeiten dachte, ich passe nicht in die Institution Ehe? Eigentlich nicht aufgrund dessen, was man üblicherweise unter Treue versteht (denn das ist keine Zwangsvorstellung, seit ich mit Dir zusammen bin), sondern weil ich glaubte, daß die Ehe in vielerlei Hinsicht die Liebe tötet. Man glaubt in ihr allzu leicht, daß man einen anderen ›besitzt‹. Man kennt kein Wort dafür, aber man kann sich gegenseitig peinigen, ohne es zu wollen, oder man kann sich gefangen fühlen in einem teilweise selbstgestrickten Netz aus ›Rücksicht und Mühe‹. Ich finde, man muß sich das ganz klar machen. Gleichzeitig bin ich mir so gut wie sicher, daß wir uns eine glückliche Zukunft aufbauen können. Darauf sollten wir uns wohl auch Papiere ausstellen lassen, aber das Stück
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