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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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mit den kurzen grauen Haaren in die Pagode kommen und sich wie üblich bis ins letzte Detail nach den Eindrücken erkundigen, die die Lehreinheit der letzten Nacht auf sie gemacht hatte. Das sollte ihr dabei helfen, sich auf die Reaktionen ihres Körpers und ihres Herzens zu konzentrieren. Wie immer würden ihr dann eine Weile die Worte fehlen, bis es irgendwann »klick« machte und sie die Momente wie in Zeitlupe in jeder Windung und Wendung neu durchlebte. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus, anschaulich und lebendig. Irgendwann erforderte die Schilderung dieser oft so schmerzhaften Augenblicke, in denen sich die Lust bis ins Übersinnliche steigerte, dann keine Sprache mehr, und sie fing an, innerlich zum Klang ihrer eigenen Stimme zu vibrieren. In solchen Momenten sah sie ein anerkennendes und befriedigtes Lächeln um die Lippen ihrer Ausbilderinnen spielen.
    Schon oft hatte sie fragen wollen, ob die Antworten, die sie lieferte, denn richtig seien und ob sie Fortschritte mache. Doch sie begegneten ihr stets mit dem gleichen undurchdringlichen Lächeln alter, weiser Seherinnen aus der Antike, höchstens dass ein Funkeln in ihren Augen einen Hinweis auf ihr Urteil gab. Dann überließen sie sie ihrem Tag, damit sie sich auf die nächste Lehreinheit – oder die nächste Qual – vorbereiten konnte.
    Aurelia hatte Madame Denoux nach den vielen Bildern gefragt, die sich auf ihr abzeichneten, ihr aber keine befriedigende Antwort entlocken können.
    »Wie entstehen diese Tätowierungen? Ist es irgendeine unsichtbare Tinte?«
    Die erfahrene Frau hatte nur geseufzt.
    »Nein, Aurelia. Es liegt dir im Blut. Du bist eine geborene Maîtresse. Das sind die Geheimnisse des Balls.«
    »Aber solche Herzen an der Innenseite des Handgelenks haben auch Andrei und Tristan, und bei anderen habe ich sie ebenfalls schon gesehen, wenn ich beim Training doch mal blinzeln musste. Sie haben aber alle nur diese eine Tätowierung, nicht die vielen, die sich bei mir zeigen. Wie kommt das?«
    »Weil du die Maîtresse des Balls bist. Sie sind bloß Diener und Dienerinnen. So ist das eben.«
    Außer diesen rätselhaften Worten gaben weder Madame Denoux noch die Grauhaarige mehr über die Natur der Tattoos oder den Ball preis. So war das eben – basta!
    Nach dem Duschen saß sie am Schreibtisch und weidete ihren Blick an dem zarten Bonsaibäumchen in dem irdenen Töpfchen, das man ihr gleich zu Beginn ihrer Ausbildung zur Pflege überreicht hatte. Die kleine Schere, mit der sie es in Form hielt, und das erlesene Gießkännchen hätten in eine Puppenstube gepasst. Das komplizierte Geflecht der Miniaturzweige und das ruhige Gleichgewicht, mit dem die Pflanze in die Höhe und Breite wuchs, luden zur Meditation ein. Aurelia stellte zu ihrer großen Überraschung fest, dass sie es stundenlang betrachten konnte, so schlug sie seine Schönheit in Bann.
    Die Zeit verging. Aurelia schaute aus dem Fenster. Der Himmel war graublau, und ausnahmsweise regnete es einmal nicht. Sie hatte keine Uhr, aber ihr Zeitgefühl sagte ihr, dass Madame Denoux oder die Grauhaarige heute spät dran war. Das war ungewöhnlich. Seit Monaten schon folgte ihr Leben bei allen neuen Erfahrungen, die sie in den Nächten machte, dem immer gleichen Ablauf. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass ihr Körper bereits in einen Zustand der sexuellen Erwartung geriet, sobald die Dämmerung nahte. Er fieberte dem Fest der Fleischeslust entgegen, wobei sie in ihrem Herzen stets die stille Hoffnung hegte, dass es diesmal Andrei sein möge, dass sie den Duft seines Atems erkennen würde, seine zarte, straffe Haut und die ihm eigene Art, mit der er sie fickte, ganz gleich in welcher Stellung und wo.
    Es klopfte.
    Ihre beiden Ausbilderinnen taten das nie.
    »Herein!«, rief sie.
    Es war Tristan.
    Aurelia war ein bisschen enttäuscht, andererseits auch neugierig, weshalb er gekommen war und was die Unterbrechung ihres gewohnten Tagesablaufs, dem sie nun schon eine gefühlte Ewigkeit lang folgte, zu bedeuten hatte.
    »Guten Morgen, Aurelia.«
    »Hallo. Dich habe ich nicht erwartet.«
    »Ich weiß«, antwortete er und ließ seine Blicke begehrlich über ihre freizügig dargebotene Haut gleiten. In Erwartung der Frauen hatte sie sich nach der Dusche nur einen Kimono übergeworfen.
    Als sie merkte, wie offenherzig sie sich präsentierte, errötete Aurelia und band den bunten Seidenkimono mit dem schmalen Gürtel zu. Auch wenn ihr natürlich bewusst war, dass Tristan sie bereits

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