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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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ihrer Spange war nichts mehr zu sehen. Und man sah natürlich auch nicht, wie tröstlich es gewesen war, als er nach ihrem kurzen Schmerzensschrei ihren Finger in seinen Mund genommen hatte.
    Umso lebendiger hingegen waren die Spuren in ihrem Innern. Unauslöschlich. Er hatte ein Zeichen hinterlassen, das sie auf ewig schätzen würde.
    Dieser atemberaubende Fremde.
    Seine Berührungen.
    Seine Liebkosungen.
    Wie er sie geliebt hatte und wie ihr unerfahrener Körper mühelos mit seinem verschmolzen war. Und welche Leere sie verspürt hatte, als ihr an jenem Morgen beim Aufwachen schmerzlich bewusst wurde, dass er fort war, noch ehe sie sich erinnern konnte, dass er überhaupt da gewesen war.
    Als Aurelia die Haustür zufallen hörte, sah sie auf ihren Wecker. Erst sieben Uhr morgens. Leicht gereizt fiel ihr ein, dass Siv in die Stadt fahren musste, um in der Zirkusschule die Bewerbungsformulare für die Aufnahmeprüfung abzuholen und einige Unterlagen zu kopieren. Aurelia seufzte auf. Sie lauschte den leiser werdenden Schritten ihrer Freundin, die die Straße hinunter zur Bushaltestelle lief.
    Aurelia streckte sich. Um den Schlaf zu vertreiben, räkelte sie sich genüsslich unter den frischen Laken, wobei ihre Zehen den Rand der Patchworkdecke streiften. Sie gähnte laut. Jetzt war sie ganz allein im Haus. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft waren Siv und sie voneinander getrennt. Und so gern Aurelia auch mit ihrer Freundin zusammen war, so schön fand sie es, endlich mal für sich zu sein und nach Lust und Laune zu faulenzen.
    Dabei hätte sie durchaus einiges zu tun; wie etwa ihren Pflegeeltern in Leigh-on-Sea die versprochene lange E-Mail zu schreiben, um ihnen zu berichten, dass sie gut angekommen waren. Aber irgendwie konnte sie sich nicht einmal dazu aufraffen, ihren iPad hervorzukramen. Er lag mit einem Großteil ihrer Klamotten, die sie noch nicht im Schrank verstaut hatte, in den Tiefen ihres Koffers. Außerdem musste sie Wäsche waschen und in der Shopping-Mall Lebensmittel einkaufen, da die Vorräte, die sie auf die Schnelle am ersten Tag im Tante-Emma-Laden besorgt hatten, allmählich zur Neige gingen. Aber all das konnte warten.
    Aurelia schloss die Augen und lockerte die verspannten Muskeln. Einerseits hatte sie größte Lust, im Bett zu bleiben und gar nichts zu tun, andererseits stellte sie im Kopf pflichtbewusst schon die To-do-Liste zusammen.
    Auf jeden Fall war es noch viel zu früh, dachte sie. Keine zivilisierte Zeit zum Aufstehen.
    Sie ließ die Augen zu, obwohl das Tageslicht schon durch den Vorhang ins Zimmer drang und es hinter ihren Lidern störend hell schimmerte. Hin und wieder hörte sie das Gezwitscher der Vögel, die den Morgen begrüßten. Vage Erinnerungen stiegen in ihr auf, die sie jedoch nicht genauer bestimmen konnte, als handelte es sich um Morsezeichen, die nur ihre Gene verstanden. Schließlich konnte sie nicht widerstehen und blinzelte durch das Fenster zu dem Stückchen Himmel hinauf. Ein grauliches Blau.
    An Einschlafen war jetzt nicht mehr zu denken, das wusste sie.
    Leise fluchend schob sie die Patchworkdecke zur Seite. Ganz gegen ihren Willen war sie nun hellwach und spürte in ihrem Magen plötzlich eine nagende Leere. Sie tappte barfuß in die Küche. Das alte Arcade-Fire-T-Shirt, das sie mit einem Baumwollhöschen zum Schlafen angezogen hatte, reichte ihr kaum bis zur Taille, und sie fröstelte. Es war kühl, obwohl das Blau zwischen den Wolken am Himmel die trügerische Illusion von Wärme schuf. Siv hatte das Glas Erdnussbutter auf dem Tisch stehen lassen. Aurelia schnappte es sich und huschte rasch zurück ins warme Bett. Da merkte sie, dass sie einen Löffel vergessen hatte. Mist, dann mussten eben die Finger reichen. Mit dem Glas in der Hand vergrub sie sich tiefer unter der Decke.
    Als sie sich zehn Minuten später die Finger sauber leckte, war das Glas halb leer. Aurelia schraubte den Plastikdeckel zu und stellte es auf den Nachttisch. Wieder überlegte sie, aufzustehen und ihr Tagespensum in Angriff zu nehmen oder irgendetwas Touristisches zu unternehmen, aber es war noch immer zu früh. Außerdem standen derart viele Möglichkeiten zur Auswahl, dass sie sich nicht entscheiden konnte.
    Stattdessen drehte sie sich um und kuschelte sich in das weiche Kissen. Sie zog die Decke über sich und musste nun entscheiden, ob sie die Arme darüber lassen oder sie darunter stecken wollte. Sie wählte Letzteres.
    Ihre Hände ruhten flach an der Innenseite ihrer Oberschenkel,

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