Die Farbe der Liebe
Spiegel. Jetzt konnte sie die kleine Zeichnung auf ihrer Haut an dieser äußerst intimen Stelle besser erkennen. Sie war verwirrt, und allmählich beschlich sie Angst.
Feine rote Linien.
Ein kleines Herz.
Ihr stockte der Atem.
Mittlerweile stand sie ganz nah vor dem Spiegel, und als sie ihren Venushügel musterte, gab es keinen Zweifel mehr. Ein winziges rotes Herz, umgeben von einem zarten Kranz ebenso roter Flammen.
Ihr schlug das Herz bis zum Hals.
Ein Tattoo?
Unmöglich.
Erneut sah sie hin. Wie gebannt starrte sie auf das Symbol auf ihrer Haut.
Dann strich sie mit zwei Fingern darüber. Insgeheim hoffte sie, dass es sich anders anfühlte als die übrige nackte Haut; dann hätte sie den Beweis, dass es künstlich, vorübergehend, ein Makel war. Doch sie konnte keinen Unterschied bemerken. Es war ein Teil von ihr.
Aber womöglich eine optische Täuschung? Oder aufgemalt? Ein Streich, den Siv ihr gespielt hatte, als sie schlief? Aber an einer derart intimen Stelle würde Siv so etwas doch nicht tun, oder?
Aurelia seifte sich die Hände ein und rieb immer heftiger über das neue Herz. Es blieb.
Schließlich ließ Aurelia von ihren Bemühungen ab. Von ihrer Umgebung nahm sie nichts mehr wahr. Sie war ganz benommen.
Die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel, war der Fremde, in dessen Armen sie eingeschlafen war, nachdem sie sich geliebt hatten. Oder hatte sie das Bewusstsein verloren? Nein, sicher nicht. Und ganz bestimmt wäre sie aufgewacht, denn eine Tätowierung tat weh, und die Instrumente arbeiteten nicht geräuschlos. So etwas hätte sie nicht verschlafen. Oder etwa doch?
Nein, in jener Nacht konnte es nicht geschehen sein. Unmöglich.
Denn nach ihrem Erlebnis in Bristol war das flammende Herz noch gar nicht da gewesen. Das wusste sie genau, weil sie am darauffolgenden Tag zu Hause ihren Körper gewissenhaft untersucht hatte, um herauszufinden, ob sie noch dieselbe war, nachdem sie einen Mann in sich gehabt hatte. Sie hätte gern eine Veränderung festgestellt, als sie die dunkle Spalte ihrer Möse gemustert hatte, vielleicht so etwas wie eine Inschrift auf der Haut, die ein für alle Mal bestätigte, dass sie jetzt eine richtige Frau war. Und hier in Oakland war ihr auch nichts aufgefallen, wenn sie geduscht und wie üblich sorgfältig ihr Schamhaar rasiert hatte; und natürlich hatte sie dabei aufgepasst, dass sie sich nicht schnitt. Da war nichts zu sehen gewesen. Kein Herz. Wie konnte es aus dem Nichts so plötzlich auftauchen?
Aurelia stockte der Atem.
Wie konnte ohne ihr Wissen ein Tattoo auf ihre Haut geraten? Aurelia war viel offener als Siv, wenn es um Tarot, ums Wahrsagen oder die Existenz von Geistern und Schutzengeln und Ähnlichem ging. Sie malte sich gern aus, dass die Welt, in der sie lebte, voller Magie war. Aber nicht von der Sorte.
Wieder betrachtete sie ihren Venushügel mit dem neuen Herz.
Es war beinahe scharlachrot, ein Farbton, der jedoch ausgezeichnet mit ihrer blassen Haut harmonierte. Erdbeeren mit Schlagsahne, Feuer und Eis. Ein vielsagendes Miniherz, das fein geformt auf ihrer Haut prangte. Erneut strich sie darüber. Es tat nicht weh, als wäre es nicht da.
Aurelia seufzte. Was hatte das nur zu bedeuten?
Sie lief in ihr Zimmer zurück, schlüpfte ins Bett und zog, als wollte sie sich verstecken, die Decke hoch. Dann ging sie jede Möglichkeit durch, so fantastisch sie auch sein mochte, bis sie erschöpft merkte, dass ihre Gedanken sich wie irre im Kreis drehten. Eingekuschelt ins warme Bett, schlief sie schließlich ein.
Als sie nach mehreren Stunden aufwachte, war es fast Mittag. Das Erste, was ihr einfiel, war das rote Herz. Sie schlug die Decke zurück und schaute nach.
Sie glaubte, ohnmächtig zu werden: Es war nicht mehr da. Die Stelle, an der sie es gesehen hatte, war so weiß wie Schnee und schimmerte elfenbeinfarben wie ihr ganzer Körper.
Sie war nicht verrückt, das wusste sie. Sie hatte sich das Zeichen nicht eingebildet. Es war kein Traum gewesen.
Doch jetzt war es weg.
Panik stieg in ihr auf. Und plötzlich roch es in ihrem Zimmer leicht nach Obst – eine Auffälligkeit, die sie sogleich an den Mann in Bristol und an den Geschmack seiner Lippen erinnerte.
Eine Weile wehrte sie sich gegen ihre aufkeimende Lust, aber der Geruch und der Geschmack hielten sich hartnäckig, wenn nicht auf ihren Lippen, so doch zumindest als lebhafte Erinnerung. Schließlich ließ sie die Hand zu ihrer Möse gleiten und liebkoste sie.
Auch diesmal fand sie es
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