Die Farbe der Liebe
polierter Stahl. Es stand auf der gegenüberliegenden Seite der Bahn und war für sie unerreichbar, bis die laufende Fahrt endete.
Aurelia lauschte verträumt Taylor Swifts Song »I Knew You Were Trouble«, ohne sich von den laut aneinanderknallenden Wagen stören zu lassen.
»Schau mal, die Jungs da drüben starren uns an«, hörte sie Siv wie durch eine dicke Watteschicht sagen. Sie gab sich einen Ruck.
»Wo? Welche?«, fragte sie, nicht sonderlich interessiert.
»Da drüben. Siehst du?«
Aurelias Blick folgte der Richtung, die Siv ihr mit dem Kinn wies. Drei schlaksige Knaben in Jeans und bunt karierten, wahrscheinlich nicht allzu sauberen Flanellhemden standen am anderen Rand der Fahrfläche und sahen sie mit unverhohlener Gier in den Augen an.
»Ach, die …«, meinte Aurelia.
»Der Mittlere ist süß«, erklärte Siv. Es war der schmuddeligste von ihnen, der sich am lässigsten an einen Pfosten lümmelte. Seine Freunde, beide kleiner und ziemlich langweilig, hielten eine Flasche in der Hand.
»Nicht mein Typ«, wandte Aurelia ein.
»Das sind sie ja nie«, stellte Siv fest. »Wahrscheinlich hast du gar keinen Typen.«
Aurelia wusste, dass Siv schon mehr als einmal mit einem Mann zusammen gewesen war, und hatte sich halb ehrfürchtig, halb amüsiert die faszinierenden, aber auch quälend detaillierten Schilderungen anhören müssen. Natürlich fühlte sie sich hin und wieder zu einem Jungen hingezogen, aber nie zu einem, den Siv ihr schmackhaft machen wollte. Über Händchenhalten und einen Abschiedskuss auf die Wange war sie bisher nie hinausgekommen. Sie war schüchtern, und jedes Mal, wenn sich doch eine Romanze angebahnt hatte, war es schiefgegangen, noch dazu meist ziemlich peinlich.
Mit den letzten Klängen des Songs kamen die Autoscooter zum Stehen.
Siv wandte sich von ihren Bewunderern ab, nahm Aurelia an die Hand und zog sie zu dem metallicroten Wagen, den sie sich ausgesucht hatten. Schon quetschten sie sich nebeneinander auf den Sitz.
Aurelia verfolgte aus den Augenwinkeln, dass zwei der Jungs auf kürzestem Weg auf einen blauen, verbeulten Scooter zu steuerten. Der dritte blieb am Rand stehen und steckte sich eine Zigarette an. Aurelia sah ein boshaftes Funkeln in seinen Augen, als Siv mit beiden Händen das Lenkrad umschloss.
Aus den Boxen erklangen die Anfangstöne eines Songs, erst langsam wie ein gedehntes Gummiband, dann schließlich in ganzer Fülle. Es war noch einmal das Lied von Taylor Swift. Ihr Scooter ruckelte, Siv trat aufs Pedal, und der Wagen schoss mit einem Satz nach vorn.
Das Lenkrad fest im Griff, hielt Siv Ausschau nach möglicher Beute. Es gab jedoch nur fünf, sechs Scooter, die verloren auf der Metallbahn ihre Runden zogen. Noch ehe sie sich für ein Opfer entschieden hatte, wurden die beiden Mädchen durchgeschüttelt. Die Jungs hatten sie mit ihrem blauen Wagen gerammt und johlten triumphierend.
»Frau am Steuer, das wird teuer!«, rief einer mit Birminghamer Akzent.
Siv riss das Steuer herum, sauste davon und ließ den Wagen mit einem abrupten Schwung herumgleiten. Und ehe die Jungs wieder in Aktion treten konnten, hatte sie Vollgas gegeben und den blauen Scooter an die Bande geschoben. Aurelia wurde nach vorn geschleudert, und Siv gluckste vor Freude. Die Jungs nahmen die Verfolgung auf, aber Siv wich ihnen geschickt aus. Leider endete die Fahrt schneller als erwartet.
Siv schälte sich aus dem Scooter und reichte Aurelia die Hand, um ihr zu helfen. »Das wird ihnen eine Lehre sein«, erklärte sie stolz und ließ den Blick zu dem blauen Wagen wandern, um die Wirkung abzuschätzen. Doch die Jungs blieben einfach sitzen und sahen sich bereits nach den nächsten Opfern um. Auf Sivs Versuche, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, reagierten sie nicht. Der dritte Junge, der am Rand gestanden hatte, war weg, offenbar hatte es ihn gelangweilt, ihnen zuzugucken.
Siv runzelte die Stirn und verlor sichtlich das Interesse an den Autoscootern, als ihre Gegner ohne einen weiteren Blick davonsausten. »Die restlichen Chips verfahren wir später«, sagte sie. »Sehen wir mal, was es sonst noch so gibt.«
Siv und Aurelia schlenderten über die Wiese. Fernab von den Fahrgeschäften erschien es ihnen kälter, und Aurelia schnupperte in die Luft.
»Ich glaube, das Wetter schlägt um«, meinte sie.
Kurz darauf frischte der Wind auf. Böen ließen die Zeltbahnen flattern und wirbelten die bunten Perlenstränge unter der Markise der Wahrsagerin durcheinander. Das Riesenrad
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