Die Farbe der Träume
Worte angewiesen war?
Harriet holte ein paar Pennies aus ihrer Schürzentasche, hielt die Münzen hoch und fragte noch einmal: »Könnte ich Gemüse kaufen?«
Auch jetzt schwieg Chen noch einen Augenblick. Dann sagte er: »Ja.«
Er legte die Hacke aus der Hand und ging zu der Stelle, wo das Seil im Wasser lag, und Harriet fragte sich, ob er solche Seile wohl an verschiedenen Stellen gespannt hatte, um das Wasser immer dort zu queren, wo es am ruhigsten war.
Er hielt das Seil für sie straff, während sie durch den Fluss watete, ihre Stiefel fest in der Hand. Lady hopste spritzend neben ihr her. Am anderen Ufer hielt Chen Harriet die Hand hin, aber sie nahm sie nicht, weil sie sicher stand; außerdem wollte sie ihm zeigen, dass sie stark und unabhängig und frei war.
Sie standen einander im Gras gegenüber. Harriet stellte fest, dass Chen schlanke Hände hatte, dass sein Zopf grau war und dass er große, leuchtende Augen hatte.
Zuerst wollte sie ihm sagen, dass sie schon einmal hier gewesen sei, Karotten stibitzt und im mageren Schatten des Pflaumenbaums geschlafen habe. Doch da sie keine Ahnung hatte, wie viel er überhaupt verstehen würde, stellte sie ihre Stiefel ab, legte eine Hand auf ihr Schlüsselbein und sagte: »Ich heiße Harriet.«
Lady hockte im feuchten Gras und betrachtete Chen, als wäre er ein verirrtes Schaf, das sie gleich zur Herde zurücktreiben würde. Und als Chen zum Hund blickte, sah Harriet ein amüsiertes Aufblitzen in seinen Augen.
»Schwarz. Weiß. Schöner Hund«, sagte er.
»Ja«, sagte Harriet. »Sie heißt Lady.«
»Lady?«, sagte er. »Frau?«
»Wie Frau, ja. Lady.«
Er nickte. »Lady.«
»Ich heiße Harriet.«
»Hel Jet?«
»Ja«, sagte Harriet. »Hel Jet. Und Sie? Chen?«
Wieder lächelte der Chinese. Es war ein Lächeln exquisiter Melancholie.
»Chen. Familienname«, sagte er. »Ich heiße Pao Yi.«
»Pao Yi?«
»Ja. Pao Yi. Distrikt Panyu. Provinz Guangdong. China.«
Harriet nickte. »Weit weg von zu Hause«, sagte sie. »Sehr weit weg von zu Hause.«
»Ja«, sagte Pao Yi. »Weit weg zu Hause. Weit weg See.«
»Sie leben an einem See?«
»Ja. Schöner See. Reihersee. Weit weg.«
Pao Yi blickte hoch in den strahlenden Himmel, als entdeckte er darin irgendeine Ähnlichkeit mit dem fernen See oder als könnte er wie ein Vogel dorthin zurückfliegen. Dann drehte er sich um, ging zu seinem Gemüsegarten, und Harriet bückte sich und zog ihre Stiefel an.
Gold. Verschwiegenheit. Wie konnte Harriet diese Dinge erläutern?
Sie schob all das erst einmal beiseite und erklärte Pao Yi, sie suche eine Maorifrau mit Namen Pare. Sie fragte ihn, ob er beim Wasserfall gewesen sei. Er sagte, er sei einmal dort gewesen. In seiner eigenen Sprache hätte er ihr geschildert, dass er sich dort beklommen gefühlt hatte, dass der Wasserfall ihn an das Wehr erinnerte, an dem seine Eltern in den Tod gestürzt waren, aber auf Englisch fehlten ihm die Worte. Harriet sah, wie er versuchte, ihr noch etwas anderes über den Wasserfall zu erzählen, doch dann verstummte er und blickte weg.
»Bei dem Wasserfall?«, fragte sie. »War da jemand? Haben Sie eine Maorifrau gesehen?«
»Nein«, sagte Pao Yi. »Keine Frau.«
Beide schwiegen. Harriet konnte Tauben hören, die hinter ihnen im Buschland lärmten. Dann bat sie, den Gemüsegarten sehen zu dürfen, und sie wanderten im Gänsemarsch die akkuraten Wege entlang, und Pao Yi nannte Harriet die englischen und die kantonesischen Namen all seiner Pflanzen. Nach einer Weile fragte Harriet: »Hatten Sie einen Garten am Reihersee?«
»Ja«, erwiderte er. »Kleiner Garten. Boot. Jeder.«
»Jeder?«
»Jeder kommt zu Pao Yi. Schöne Fische.« Und dann zeigte er auf sein im Fluss aufgespanntes Netz. »Fisch da«, sagte er. »Pao Yi bleibt leben.«
Sie ernteten einen Armvoll Gemüse, und Pao Yi packte alles in einen Beutel. Harriet hielt ihm ihr Geld hin, und Pao Yi nahm ein paar Münzen, und dann machte er eine Verbeugung, drehte sich um und eilte hastig davon, als bedrücke es ihn, dass er Geld von ihr genommen hatte. Sie beobachtete, wie er seine Pelzmütze abnahm und die Hütte durch die Tür betrat, die ein mit Sackleinen bespannter Holzrahmen war, und sie hinter sich schloss. Lady machte Anstalten, Pao Yi zu folgen, aber Harriet rief sie zurück.
Und sie wartete. Sie dachte, dass Pao Yi vielleicht etwas holen und ihr zeigen wollte und gleich wiederkäme. Sie versuchte sich vorzustellen, was er wohl in seiner Hütte hatte und ob er auf
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