Die Farbe der Träume
Stelle trocken, und die Heringe ließen sich gut in den Boden schlagen. Harriet sammelte Reisig und trockene Äste und entfachte ein Feuer in einem Ring aus Steinen. Im Zelt grub sie ein tiefes Loch in die Erde und füllte auch das mit Steinen. Das würde der Aufbewahrungsort für ihr Gold werden.
Fächerschwänze und Brillenvögel waren bei Sonnenaufgang aufgetaucht und hatten die Insekten gefangen, die im weißen Dunst über dem Wasser schwebten. Im Busch knackte und raschelte es, als die Sonne höher stieg.
Harriet holte die Pistole heraus, die Joseph ihr in D’Erlangers Hotel gegeben hatte, prüfte, ob sie funktionierte, lud zwei Kugeln in die Trommel und legte sie an die Stelle, wo sie schlafen würde, wobei der Lauf von ihr weg zum Buschland zeigte. Dann kochte sie Kaffee und briet Speck auf dem Feuer und überlegte, ob Chen, der Gärtner, wohl den Rauch bemerken und über den Fluss kommen würde, um nachzusehen, oder ob sie ihm noch vor der nächsten Nacht einen Besuch abstatten sollte. Sie könnte ihm einen Kohlkopf und Zwiebeln abkaufen, alles mit dem Speck und mit Karotten und Porree anschmoren und eine Gemüsebrühe kochen, von der sie eine ganze Weile leben könnte.
Und diese »ganze Weile« entfaltete sich vor ihr als ein gemächliches Fest einsamer Tage, einer so schön wie der andere, nur dass die Dunkelheit immer ein bisschen früher hereinbrechen und das Nest, das sie mit Steinen zugestopft hatte, sich still und leise mit Gold füllen würde.
Sie wusste, dass jeder Goldgräber an diesem Fluss sich im Wettlauf mit dem kommenden Winter befand und dass ihr eigenes Überleben von den Minusgraden abhing, doch an diesemersten Morgen hatte sie das Gefühl, dass sie und die Zeit im Einklang waren. Ihr stand eine kleine Zeitspanne zur Verfügung, in der sie Gold aus dem Fluss waschen, zum Wasserfall gehen und nach Pare suchen und in die Sterne gucken konnte. Und wenn schließlich der Schnee sie vertrieb und sie ihr Lager auflösen musste, dann wäre sie, die schon so lange von den Bergen träumte, in der Zwischenzeit sehr weit gereist, ohne sich von der Stelle zu bewegen: Sie hätte ihr Leben befragt, und alles, was danach noch zu tun bliebe, wäre, die Antwort auf diese Frage zu finden.
Harriet wusch den ganzen Nachmittag lang Gold am Kiesstrand gegenüber von Chens Garten. Es war windstill und warm, und sie fühlte sich erhitzt und aufgeregt und lebendig. Sie sammelte eine Handvoll goldener Körner in einem Blechbecher und wusch und spülte sie so lange, bis sie glänzten. Dass sie sich so einfach finden ließen, ohne dass der kleine Strand in Unordnung geriet, kam ihr wie ein Wunder vor. Sie wusste aber auch, wie ungerecht es war. Die tiefen Schächte und Gruben, all der Dreck und all die enttäuschten Hoffnungen von Kokatahi lagen nur zwei Stunden entfernt. Und hier hätte ein Kind sich an den Ufersaum hocken und die kleinen leuchtenden Körnchen wie Muscheln am Strand von Norfolk aufsammeln können.
Bis zum Sonnenuntergang war von Chen nichts zu sehen, und dann fing Lady an zu bellen, und Harriet blickte auf und sah, dass der Chinese vor seinem Garten stand und sie beobachtete. Sie hatte sein Ankommen nicht bemerkt; er musste den Fluss weiter unten gequert haben. Jetzt hatte er wohl sein Fischernetz kontrolliert und sie dabei entdeckt – eine Fremde in seiner abgeschiedenen Welt. Er stand da und bewegte sich nicht. Er trug eine Pelzmütze, aber seine Kleidung sah aus, als wäre sie aus einem ganz dünnen Stoff, Baumwolle vielleicht. Er hielt die Hacke mit dem scharlachroten Griff in der Hand. Harriet hatteden Eindruck, er schaue nicht zu ihr, sondern auf den Boden, auf dem sie stand.
Harriet richtete sich zu voller Größe auf, ließ den Blechbecher im Kies stehen und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Dann rief sie: »Ich habe Geld, um Gemüse zu kaufen.«
Sie wartete. Chen stand weiter regungslos da. Und sie dachte, ob er etwa ein Mann war, der nie sprach, der in keinerlei Kontakt mit den Menschen dieses Landes trat, außer um ihnen seine Waren zu verkaufen, und das auf eine Weise, die keiner Worte bedurfte.
Und während das Schweigen zwischen Chen und ihr wuchs, musste sie mit einem Mal an all das laute, monotone Geplapper denken, das Joseph sein Leben lang auf den Viehauktionen von sich gegeben hatte. Und sie fragte sich: Verfolgte ihn diese alte Anheizersprache in seinen Träumen? Sehnte er sich vielleicht nach einem Leben, das sich eher in Gesten ausdrückte und weniger auf
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